: Kaltes Buffet
■ Schauspielhaus: Premiere von „Die Versuchung des heiligen Antonius“
Man muß nicht die ekstatische Literaturorgie und das bizarr gestaltete Bücherwissen Flauberts zum Vorbild einer Inszenierung nehmen, wenn man seine Versuchung des heiligen Antonius inszeniert. Man kann (und muß wahrscheinlich auch) radikal in dem Text streichen, der von bildungsbürgerlichen Anspielungen an Gnostiker, christliche Nebenlinien und Auseinandersetzungen über den richtigen Glaubensweg aus der Gründungszeit der Kirche nur so wimmelt. Aber wenn man dieses Werk inszenieren will, reicht es sicherlich nicht aus, einen in Hamburg beliebten, leidenschaftlich die Register der Schauspielkunst hinunterorgelnden Schauspieler (Ulrich Wildgruber) in ein bewegtes Bühnenbild zu stellen, in dem die restlichen Schauspieler zu Komparsen degradiert sind.
Genau das ist aber die Arbeitsweise von Axel Manthey bei seiner Reduktion der Flaubertschen Komplexität. Statt die bedrohliche Magie der Visionen in Bilder zu fassen, pendelt Manthey die Lust- und Angstvorstellungen des Wüsteneremiten Antonius zwischen poppiger Klamotte und Maschinenzauber aus, wo schauspielerische Leistung nicht mehr hinreicht.
Ein inhaltliches Anliegen des Regisseurs ist dabei nie zu entdecken. Flaubert legte ja - im Gegensatz zu mittelalterlichen Mystikern - das Gewicht seiner Verführung mehr auf die atheistischen-rationalistischen Zweifel, welche die Gläubigen seiner Zeit bestürmt haben mögen. Eine neuerliche Aktualisierung 130 Jahre später durch Manthey endet stattdessen im De-sign. Mit konstruktivistischen Elementen reich beladen (weißes Viereck, roter Kreis, grünes Dreieck), hascht Manthey mehr nach effektvollen Auf- und Abtritten für die unzähligen, wenig „verführerischen“ Gestalten, als daß er bemüht wäre, die nächtliche Leidensgeschichte des Gläubigen mit neuerlichen Bezügen zu verdichten.
Was so entsteht ist trotz der letztlich kargen Mittel ein unvermitteltes Szenen-Patchwork von höchst unterschiedlicher Qualität. Fesselnde Momente wie der Auftritt des Paares Damas (Siggi Schwientek) und Buddha (Peter Brombacher) oder Jewgenij Sitochins artistische Darstellung der Zeit bleiben in dem Sammelsurium an beliebigen Regie-Einfällen die zufällige Ausnahme. Statt Flauberts oft archaischer Assoziationswut erhält der Zuschauer ein kaltes Buffet szenischer Attrappen.
Till Briegleb
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