Mit Bildung verzweifelt gegen Rechts

■ 75 Jahre Volkshochschule: Eine Institution mit wechselvoller Geschichte Von Kaija Kutter

Spannend wie ein Krimi liest sich die Festschrift von Regina Siewert zum 75. Geburtstag der Hamburger Volkshochschule. Die Leiterin des Fachbereichs Politik hat Zeitzeugen aus mehreren Jahrzehnten interviewt. Entstanden ist die Chronik eines dreiviertel Jahrhunderts Erwachsenenbildung in Hamburg im Spiegel von Kurzportäts.

Wußten Sie, daß die Volkshochschule ursprünglich ihren Schwerpunkt in der politischen Bildung hatte? Das hausbackene Image - in bestimmten Kreisen wird „Volkshochschulniveau“ noch immer als Schimpfwort benutzt - hat die Hamburger Institution nicht verdient, die am 28. März 1919 zusammen mit der Universität gegründet wurde. Ursprünglich sollten beide eng zusammenarbeiten, die Professoren seien verpflichtet, an der VHS mitzuarbeiten, hieß es in einem vorläufigen Gesetz. Doch die Herren Professoren waren dafür zu elitär, lediglich einige links beziehungsweise liberal-demokratisch gesinnte Hochschullehrer, wie der Rechtsprofessor Albrecht Mendelsohn-Bartholdy, zeigten Engagement. Es scheint, daß „demokratisch gesinnte Universitätsmitarbeiter so etwas wie ein Netzwerk an der VHS geknüpft haben und Diskussionszusammenhänge pflegten, die ihnen an der konservativ geprägten Uni gegen Ende der Weimarer Republik nicht mehr möglich waren“, schlußfolgert die Autorin Siewert.

Bemerkenswert auch: Die Volkshochschule war nicht nur selbstverwaltet, sie arbeitete auch vorwiegend in „Arbeitsgemeinschaften“, eine damals neue päd-agogische Form, die schon 1920 Teamarbeit an Stelle von Frontalunterricht setzte.

Der erste Arbeitsplan der VHS beschränkte sich auf die Wissensgebiete'Literatur, Geschichte und Volkswirtschaft, wobei alle drei volkswirtschaftlichen Veranstaltungen eine „Einführung in die Gedankenwelt von Karl Marx“ gaben. Ein Umstand, der zu einer ersten öffentlichen Auseinandersetzung um die politische Richtung der VHS führte.

Zwölf Jahre später - die Teilnehmerzahl ist auf knapp 10.000 gestiegen, der gesellschaftlich-politische Bereich macht 55 Prozent der Kurse aus - kommt es zu einer regelrechten Hetzkampagne in der Hamburger Presse. Die VHS sei eine „rosarote marxistische Parteischule“, giftet das „Hamburger Tageblatt“ im Juni 1932. Auffallend sei „die hohe Zahl jüdischer Dozenten“, die im krassen Widerspruch dazu stehe, daß die VHS auch „eine deutsche Volkshochschule“ zu sein habe. Mitinitiatorin der Kampagne war die Dozentin Margarete Adam, deren Arbeitsgemeinschaft zur „Rassenfrage“ vom VHS-Leiter Kurt Adams abgelehnt worden war. Gegen Ende der Weimarer Republik, so Regina Siewert, versuchte die Volkshochschule mit ihrem demokratisch-emanzipatorischen Bildungsprogramm „geradezu verzweifelt“ auf die deutliche Rechtsentwicklung zu reagieren. Mußte gespart werden, so verzichteten Dozenten auf Honorare. Eher wurde ein Kurs in Buchführung gestrichen als in Politik.

Nach der Machtübernahme im März 1933 wird der Leiter Kurt Adams von der Hochschulbehörde beurlaubt und durch Heinrich Haselmeyer ersetzt, der bereits im Jahr zuvor mit der „nationalsozialistischen Volkshochschule“ eine Gegeninstitution geschaffen hatte. Nur 14 der 147 Dozenten, die vor 1933 unterrichteten, werden weiterbeschäftigt. Die Nazis instrumentalisieren die VHS für ihre Zwecke, nennen sie 1941 in „Volksbildungsstätte um, Vorlesungen über Rassenpolitik stehen an erster Stelle. Die traditionelle Hörerschaft aus der Weimarer Zeit kehrt der VHS den Rücken, statt dessen mühen sich die Nazis um das Klein- und Mittelbürgertum.

Als die VHS nach Kriegsende auf Anordnung der Militärregierung am 3. Dezember 1945 wiedereröffnet wird, übernimmt der neue VHS-Leiter 73 Dozenten aus der Nazi-Zeit. „Der Wiederaufbau ist kein deutlicher Neubeginn“, schreibt Siewert. Jeder, der nicht an anderer Stelle aus seinen Ämtern entlassen wird, kann weiter unterrichten. Doch unter den Dozenten sind auch 22 von denen, die vor 1933 tätig waren.

Der Bildungshunger der Nachkriegszeit war immens, doch der Kerngedanke der Weimarer Zeit – „Demokratie braucht Bildung“ – wurde nicht wieder zum Leitmotiv des Selbstverständnisses der Volkshochschularbeit. Siewert: „Aktuelle politische Bildung war von den Nazis gründlich pervertiert und diskreditiert worden“. Statt dessen standen in den 50er Jahren Allgemeinbildung und künstlerische Selbstverwirklichung im Mittelpunkt: Italienisch-Kurs und Capri-Reisen.

Erst unter dem Einfluß der 68er Revolte wächst das Interesse an politischen Themen erneut. Unter anderem hatte die Hamburger Frauenwoche ihren Ursprung in der Volkshochschule.