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Stütze des Widerständlers

■ Die 90jährige Witwe des Widerstandskämpfers Adolf Reichwein im Schulunterricht

„Schon vorher hatte mein Mann zu mir gesagt: Ich habe Kontakt mit den Kommunisten aufgenommen. Wenn das schiefgeht, kostet es das Leben. Ich habe ihn nicht daran gehindert, gesagt, denk an deine Familie, sondern ihn noch angetrieben: Wir brauchen diese Leute. Beim nächsten Treffen stand der Gefängniswagen schon vor der Tür; die Nazis haben ihn verhaftet. Das Treffen wurde von einem Spitzel verraten.“ Geschichtsunterricht von unten im Schulzentrum Lange Reihe in Walle: Rund 40 SchülerInnen lauschen gebannt der fast 90jährigen Rosemarie Reichwein, Witwe des Widerstandskämpfers und Reformpädagogen Adolf Reichwein. Nicht nur dieser 4. Juli 1944 ist der alten Dame, für zwei Tage aus Berlin zu Besuch in Bremen, so lebendig in Erinnerung geblieben. Die Beweggründe der Reichweins, in den Widerstand zu gehen, das Innenleben des Kreisauer Kreises um Graf von Moltke, zu dem Adolf Reichwein gehörte, die Geschehnisse rund um den 20. Juli 1944, das große Schweigen um die „anderen“ Deutschen in den Nachkriegsjahren – zwei Stunden lang malte Rosemarie Reichwein ein lebendiges Bild dieser Zeit. Von ihren Besuchen im Gefängnis: „An seiner Kleidung waren manchmal Blutflecken, so sehr haben sie ihn mißhandelt.“ Vom Tag des Prozesses: „Ich stand unten auf der Straße und durfte nicht hinein, aber man konnte dort noch das Gebrüll des Richters Freisler hören“. Von ihrem anschließenden Gang ins Zuchthaus Plötzensee: „Ich fragte den Pförtner, was mit den Leuten, die heute hierhergebracht wurden, geschehen sei, da antwortete er –Die leben alle nicht mehr–.“ Der Kontakt mit den Kommunisten, wenige Wochen vor dem Hitlerattentat, kostete Adolf Reichwein tatsächlich das Leben.

Die beiden hatten sich an der „Roten Akademie“ in Halle kennengelernt. Er kam aus der Tradition der Wandervögel, eine schwere Verletzung im 1. Weltkrieg prägte seinen Wahlspruch –Nie wieder Krieg–, Reisen in das Ausland den bekannten Spruch „In der Entscheidung gibt es keine Umwege“. Sie war zuvor in Schweden ausgebildete Gymnastiklehrerin im Landerziehungsheim Schloß Salem/Bodensee, bildete dann LehrerInnen aus. „Ich habe Hitler auf einer Volksversammlung in Halle gehört; das hat mir gezeigt, was für ein Rattenfänger er war. Als meine Freundin und ich beim anschließenden Hitlergruß nicht mitmachten, wurden wir fast verprügelt. Was war das für eine Hypnose!“

Nach Jahren auf dem Land schloß sich Adolf Reichwein dem Kreisauer Kreis an. „Die Männer schmiedeten dort Pläne für die Zeit nach Hitler, für den Tag X“, erzählt Rosemarie Reichwein. Adolf Reichwein wird heute auch als der designierte Kultusminister für das „neue Deutschland“ bezeichnet. „Wir Frauen waren im Hintergrund und stützten die Männer“, blickt Frau Reichwein zurück, „wir wurden nicht in die Einzelheiten eingeweiht, da uns unsere Männer schützen wollten und fürchteten, daß wir die Verhöre der Nazis nicht durchstehen würden.“ Auch die Frauen untereinander hatten in dieser Zeit keinen Kontakt: „Für uns hieß das schweigen und sich verstellen.“ Erst nach dem Krieg kümmerten sich einige zum Teil um die Kinder der anderen, nachdem fast der gesamte Kreisauer Kreis hingerichtet worden war. Die Witwe Reichwein mußte mit ihren drei Kindern 10 Jahre lang auf die Pension ihres Mannes warten. Und schweigen über ihre Vergangenheit: „Vom Widerstand durfte nicht gesprochen werden. Das ganze deutsche Volk hatte schuldig zu sein, so schrieben es die Alliierten vor.“ Den Film „Schindlers Liste“ hat die 90jährige gesehen, „natürlich“, und findet, man solle gerade heute man „viel öfter die Möglichkeiten des Widerstandes zeigen“. Daß sich heute Neonazis offen auf die Straße trauen, kann sie nicht verstehen: „Wir hätten viel früher reagieren müssen. Wehret den Anfängen – dazu ist es schon fast zu spät.“ skai

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