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Beängstigende Marginalisierung

AutorInnen aus aller Welt diskutierten das publizistische Nord-Süd-Gefälle  ■ Von Karin Clark

Im Oktober letzten Jahres fand auf der Frankfurter Buchmesse ein Nord-Süd-Verlagsworkshop statt, den das Schriftstellerinnen-Komitee des Internationalen PEN organisiert hatte. Zwanzig Frauen, Autorinnen, Verlegerinnen und Lektorinnen aus afrikanischen, asiatischen und arabischen Ländern und aus Osteuropa trafen sich mit ungefähr zwanzig VerlegerInnen, LektorInnen und SchriftstellerInnen aus Westeuropa und Amerika zu einem Meinungsaustausch über Publikationsprobleme und -möglichkeiten von Werken der Autorinnen aus den armen und ärmsten Regionen der Welt. Als „Datenbank“ und Kontaktpersonen nahmen auch zehn Mitglieder und FreundInnen des Internationalen PEN-Frauenkomitees teil.

In ihrem Grußwort betonte die senegalesische Schriftstellerin Fatou N'diaye Sow die Bedeutung eines solchen Gesprächs als ersten Schritt in Richtung einer konkreten und effektiven Kooperation zwischen SchriftstellerInnen und VerlegerInnen aus Süd, Ost und Nord.

Der Tag begann mit Vorträgen von sechs Schriftstellerinnen und Verlegerinnen aus den betroffenen Ländern, in denen sie ihre Sicht der Problematik darstellten. Hieraus ergab sich schnell die Einsicht, daß der gesamte Komplex der von Frauen produzierten Literatur ohne Verweis auf die allgemeinen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Publikation, Vertrieb und Rezeption von Literatur generell ausgesetzt sind, nicht diskutiert werden kann. Wenn in einem Land nur wenige Menschen überhaupt lesen können, ist die Zahl der einheimischen Leserschaft selbst für Literatur in der Muttersprache begrenzt, und Werke in den kolonialen Sprachen erreichen ohnehin nur die Eliten des Landes. Wo Literatur zudem aus politischen, religiösen und anderen Gründen direkt oder indirekt zensiert ist, bleibt das freie Wort geknebelt. Und wo Papier knapp ist, kann kein Verlagswesen aufblühen. Aus dem Norden importierte Bücher sind aufgrund ihrer Preise für die meisten Menschen ohnehin unerschwinglich.

Angesichts solch großer Hindernisse rief die Südafrikanerin Lauretta Ngcobo zur verstärkten Demokratisierung von Erziehung, Bildung und Kultur in den afrikanischen Staaten auf. Außerdem forderte sie größere finanzielle Hilfen des Nordens für den afrikanischen Buchmarkt und eine gezielte Unterstützung für die wachsenden Anstrengungen auf dem Kontinent selbst, über nationale Grenzen hinweg zu kooperieren.

Der beunruhigende Konsens, daß Frauen, die in den ärmeren Regionen der Welt schreiben und publizieren wollen, sich in einer besonders prekären Lage befinden, war schnell gefunden. Als Frauen werden sie schon lange – und auch weiterhin – in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens, ökonomisch, sozial und beruflich, an den Rand gedrängt. Die ägyptische Schriftstellerin Salwa Bakr bestätigte die Erfahrung vieler Teilnehmerinnen, daß sich die (ohnehin wenigen) einheimischen Verlage für Literatur von Frauen einfach nicht interessieren. Falls solche Literatur überhaupt veröffentlicht wird, wird sie von der Kritik ignoriert.

Um so mehr Hochachtung verdienen Initiative und Mut von Frauen wie Ritu Menon und Urvashi Butalla vom Verlag „Kali for Women“, Neu-Delhi, und Laila Chaouni von „Editions Le Fennec“, Casablanca, die es riskiert haben, Frauenverlage zu gründen.

Aminata Sow Fall, Schriftstellerin, Verlegerin und Gründerin des „Centre Africain d'Animation et d'Echanges Culturels“ aus Dakar (die einen eigenen kleinen Verlag besitzt und eine Kulturzeitschrift herausgibt), betonte die Dringlichkeit, mit der das Überleben einer authentischen afrikanischen Literatur, ihrer Metaphorik und eigenen literarischen Normen, gesichert werden müsse. „Die Inhalte afrikanischer Bücher“, sagte sie, „entsprechen nicht immer dem westlichen Geschmack, so daß solche Manuskripte außerhalb Afrikas schon gar nicht angenommen werden.“ Sie konzentriert ihre Bemühungen deshalb auf die Förderung von Erstlingswerken junger AfrikanerInnen.

Trotz vieler gleicher Erfahrungen und ähnlicher Sorgen machten sich doch auch immer wieder kulturelle Differenzen und Mißverständnisse untereinander bemerkbar, unter anderem auch eine Ablehnung der dominanten, also in „kolonialen“ Sprachen geschriebenen, Literatur. Die bengalische Schriftstellerin Nabaneeta Dev Sen aus Kalkutta betonte, daß die indischen SchriftstellerInnen, die man im Norden kennt, bei sich zu Hause nicht unbedingt gelesen würden. „Sie sind Teil eures literarischen Erbes geworden. Wir lesen in den Zeitungen von ihnen. Und ansonsten haben wir unsere eigenen LieblingsautorInnen, die in unserer Muttersprache schreiben“ – einer Sprache übrigens, fügte sie hinzu, die von der fünftgrößten Sprachgemeinschaft der Erde gesprochen wird.

In vielen Diskussionsbeiträgen wurde eingeräumt, daß Bücher, die in einer der kolonialen Sprachen geschrieben sind, international vielleicht auch deshalb eine größere Leserschaft fänden, weil sie die Spuren vieler Kulturen in sich trügen, ob ihre AutorInnen das wollten oder nicht. Allerdings gehören diese AutorInnen zu einem kleinen elitären Kreis von Gebildeten und erreichten nur ihresgleichen. (In Indien können nur zwanzig Prozent der Bevölkerung überhaupt lesen und schreiben, gerade zwei Prozent verstehen und lesen Englisch.)

Literatur in den einheimischen Muttersprachen jedoch – und nicht wenige der WorkshopteilnehmerInnen hatten sich bewußt für ein Schreiben in der Muttersprache entschieden – hat aus vielen Gründen kaum Chancen, weiter nach außen vorzustoßen; das liegt teilweise an mangelndem Interesse, gut ausgebildeten ÜbersetzerInnen und finanziellen Übersetzungshilfen.

Daher ist das Verständnis vieler Kulturen und ihrer Literatur in Europa und Amerika stark dadurch geprägt, daß sie bereits durch eine Art Filter nördlicher Normen gegangen sind. Die Sicht des Insiders, und ganz besonders in diesem Zusammenhang natürlich die Sicht der Frauen, wird so in der Regel ausgeschlossen. Und, fragte die slowenische Schriftstellerin Alenka Puhar, gründen die Menschen des Nordens ihre Vorstellung vom Alltag in vielen Teilen der Welt nicht ohnehin auf Berichte von Katastrophen und Kriegen?

Tanella Boni von der Elfenbeinküste begründete ausdrücklich ihre Entscheidung, Französisch zu schreiben. Angesichts der vielen einheimischen Sprachen, die in ihrem Land nebeneinander existierten, und der Tatsache, daß erst vor kurzem überhaupt ein Alphabet entwickelt worden ist, um sie schriftlich zu fixieren, ermöglichte nur die dominante Sprache ihren Texten, die Sprachgrenzen – selbst des eigenen Landes – zu überwinden.

Fast alle Sprecherinnen beklagten, daß aufgrund historischer und gegenwärtiger wirtschaftlicher Bedingungen die literarische Kommunikation zwischen Nord und Süd sich eher in Einbahnstraßenrichtung – von Norden nach Süden – abspiele. Das müsse dringend geändert werden. Der Reichtum einheimischer Literaturen, nicht zuletzt auch der mündlichen Überlieferungen, die in der Vergangenheit hauptsächlich von Frauen getragen worden sind, sei von der Vernichtung durch Vergessen bedroht. Dabei seien es gerade diese Traditionen, die für die Entwicklung einer postkolonialen kulturellen Identität und Geschichtsschreibung so ungeheuer wichtig seien.

SprecherInnen aus dem Norden bestätigten die Notwendigkeit einer verbesserten Nord-Süd- Kooperation, um Literatur von Frauen aus dem Süden und Osten international bekannter zu machen. Ausdrücklich begrüßten sie die Idee dieses Workshops und seiner Ziele, da – so ein männlicher Verleger aus Deutschland – nur Solidarität unter den Frauen einen effektiveren und weniger von Konkurrenz geprägten Informations- und Ideenaustausch sichern könne. Frauen aus feministischen Verlagen sahen die besten Chancen für einen Erfolg in der Gründung von Frauenverlagen. Und einige waren der Meinung, daß selbst hochinteressierte Verlage im Norden bei weitem nicht genug Informationen darüber hätten, was wo und von wem im Süden geschrieben werde; auch die Arbeitsweise der Verlagsindustrie des Nordens sei im Süden nicht genügend bekannt. Erschwerend komme hinzu, daß – besonders in Afrika – keine Infrastruktur für den Vertrieb von Büchern und kaum eine Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern des Kontinents existiert. Der Mangel an institutioneller, vor allem regierungsamtlicher Kultur- und Literaturförderung in vielen Regionen, Abhängigkeit von Entwicklungsfonds für einheimische Verlagsprojekte und die Dominanz ausländischer Verlage komplettierten das Gesamtbild einer unübersehbar schwierigen Situation.

Am Ende der Podiumsdiskussionen waren sich alle TeilnehmerInnen einig, die Kooperation unbedingt fortzusetzen, die bereits existierenden Vernetzungen wirklich in Anspruch zu nehmen, neue Informationsstrategien zu entwickeln und nicht zuletzt Informationen über Bücher, die im Süden geschrieben und publiziert worden sind, an interessierte Verlage im Norden tatsächlich weiterzugeben.

Einstimmig beschlossen die versammelten TeilnehmerInnen, sich an die Unesco und andere internationale Kulturinstitutionen zu wenden und um finanzielle Unterstützung für die Übersetzung von in einheimischen Sprachen und von Frauen aus den ärmsten Weltregionen verfaßter Literatur zu bitten. 1994 soll ein viersprachiges Handbuch mit den Tagungsergebnissen erscheinen sowie – als Kooperation zwischen „Kali for Women“ und dem Schriftstellerinnenkomitee des PEN – ein Sammelband mit Essays aller Teilnehmerinnen zum Thema dieser Tage. Ein deutscher Verlag hat daran bereits Interesse angemeldet, ein amerikanischer Verlag um eine Option für die amerikanischen Rechte gebeten.

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