: Isoliert und mundtot gemacht
Der letzte Prozeß gegen die Action directe soll beweisen, daß es in Frankreich gar keine politischen Gefangenen mehr gibt: ein Bumerang ■ Aus Paris Bettina Kaps
Am letzten Montag vor dem Pariser Justizpalast: Gendarmen mit Maschinenpistolen im Anschlag überwachen die Ankunft von zwei Frauen und zwei Männern in Handschellen. So als ob der Staat vor diesen vier Menschen noch zittern müßte. Doch da es sich um die Chefs der Action directe handelt, muß Stärke demonstriert werden. Das Szenario ihres letzten Prozesses vertuscht zunächst, daß Staat und Justiz die Angeklagten längst unschädlich gemacht haben. Denn seitdem Jean-Marc Rouillan, Nathalie Menignon, Georges Cipriani und Joälle Aubron vor sieben Jahren auf einem Bauernhof entdeckt und verhaftet wurden, haben sie die meiste Zeit in Isolationshaft verbracht.
Der 43jährige Cipriano hatte bei seinem letzten Erscheinen vor Gericht im November mit schwacher Stimme und flackerndem Blick seinen Zustand beschrieben: „Ich bewege mich wie ein Seiltänzer zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht durch die Tage und versuche, bei Verstand zu bleiben.“ 23 Stunden völliger Einsamkeit am Tag haben zu seiner Einweisung in die Psychiatrie geführt. Für den derzeitigen Prozeß, der auf drei Wochen angesetzt ist, wurde Cipriano gegen ärztlichen Rat erneut isoliert; aus Protest trat er in den Hungerstreik. Auch Rouillan, der Gründer der Action directe, ist seinem Anwalt zufolge am Ende seiner Kräfte. Allein die beiden Frauen konnten vor fünf Jahren durch einen Hungerstreik die Erlaubnis zu beschränkten Kontakten mit der Außenwelt erzwingen. „Ich bin überzeugt davon, daß der Staat diese Menschen zerstören will“, sagt Anwalt Bernard Ripert. „Da die Action directe heute so gut wie keine Unterstützung in unserer Gesellschaft findet, brauchen die Machthaber dabei keine Proteste zu fürchten.“
1989 wurden die Anführer der Action directe für die Ermordung des Renault-Managers Georges Besse ein erstes Mal zu lebenslanger Haft plus 18jähriger Sicherheitsfrist verurteilt. Jetzt steht die Gruppe, die sich als „revolutionäre Kommunisten“ bezeichnet, insbesondere wegen der Ermordung eines hohen Beamten des Verteidigungsministeriums vor Gericht, der für Waffenexporte zuständig war.
Seit der Abschaffung des staatlichen Sicherheitsgerichtes 1981 gibt es für den französischen Staat offiziell keine politischen Gefangenen mehr. Dennoch werden politisch motivierte Straftäter nicht wie „normale“ Verbrecher behandelt. Für sie ist vielmehr eine Antiterror-Sonderabteilung der Pariser Staatsanwaltschaft zuständig; ihre Verfahren finden nicht vor Geschworenen statt, da diese Druck ausgesetzt sein könnten, sondern vor sieben Berufsrichtern. Das politische Kriterium wird also nach wie vor berücksichtigt.
Der Verlauf des ersten Verhandlungstages gegen die AD- Führer bestätigte geradezu deren Vorwurf, es handle sich doch nur um eine „Karikatur von Justiz“: Joälle Aubron, die 34jährige Sprecherin der Gruppe, las mit Einverständnis des Vorsitzenden eine Erklärung vor, in der sie die außerordentlichen Haftbedingungen anprangerte, „die doch nur ein Ziel haben: Uns bis zu dem Punkt zu schwächen, an dem wir die einzige Art der Verteidigung akzeptieren, die ihr annehmt: Unterwerfung und Reue“.
Obwohl der Vorsitzende der Angeklagten ausdrücklich eine Viertelstunde Sprechzeit eingeräumt hatte, versuchte er bereits nach wenigen Minuten, sie zum Schweigen zu bringen. Als dies nicht gelang, befahl er den Gendarmen, alle vier hinauszuführen. Die neun Uniformierten stürzten sich sogleich auf die Angeklagten; Rouillan wurde gar zu Boden geworfen und geschlagen. Seither weigern sich die vier und ihr Anwalt, dem Verfahren weiter beizuwohnen. „Politische Gefangene, die eine lebenslange Haftstrafe riskieren, dürfen sich nicht mal 15 Minuten lang äußern“, klagte Anwalt Ripert. „Dies ist kein Prozeß, wir haben hier nichts mehr zu suchen.“
Neben den Mitgliedern der Action directe werden auch baskische und korsische Separatisten vor das Pariser Sondergericht gestellt, wenn ihnen Attentate zur Last gelegt werden. Völlig anachronistisch ist, daß der Staat heute noch Anhänger der Zeugen Jehovas zu Überzeugungstätern stempelt: Sie werden tatsächlich in den Knast geschickt, weil sie sich weigern, Militär- und Zivildienst abzuleisten. Nach Informationen seitens der Liga für Menschenrechte sitzen derzeit knapp 1.000 Sektenmitglieder ihre einjährige Strafe ab. Gleichzeitig sorgt sich das Justizministerium, wie es die chronische Überbelegung der Gefängnisse in den Griff bekommen soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen