piwik no script img

Prüfstein der Geduld

40 Jahre „Das Wort zum Sonntag“  ■ Es spricht Manfred Riepe

Im Anfang war das Wort. Und seit vierzig Jahren ertönt es auch im ersten deutschen Fernsehkanal: Am 8. Mai 1954 ward Gott TV-medial. Eigentlich hätte die Reihe aber schon sieben Tage früher starten sollen. Proporzgemäß wollte der katholische Prälat Klaus Mund aus Aachen die ersten salbungsvollen Worte verkünden. Doch ein Kabelbruch verhinderte die Übertragung. Und so wollte es Gottes Fügung, daß ein Reformist das erste Wort zum Sonntag sprach.

2009mal gingen seitdem im Wechsel evangelische und katholische Pastoren auf televisionären Seelenfang. „Laien und Frauen (sic!) fanden erst später Gnade vor den strengen Augen der kirchlichen Auswahlgremien“, weiß der ARD-Pressetext zum Jubiläum. Als sie dann endlich durfte, zeigte die gottesfürchtige Frau offenbar Nachholbedarf in kirchlicher Linientreue: Als beispielsweise Pastorin Holze-Stäblein ihre Auffassung zum Paragraphen 218 verkündete, schlugen die Wellen hoch ob ihrer Lektion in Finsternis.

Der Verfall des nie ausgefallenen Wortes zum Sonntag begann, als die von Gott Berufenen aus ihren Kutten schlüpften. Statt über die ewigen Dinge redeten sie über Alltägliches und betätigten sich zunehmend als Konkurrenz zur hiesigen Sozialarbeit. Daß die Schäfchen der Fernsehgemeinde dieser Weltoffenheit gar nicht so nahe stehen, bewies Gottes Statthalter auf Erden, der konservative Papst Johannes Paul II., am 25. April 1987 mit der preisverdächtigen Einschaltquote von 21 Prozent.

Reinhold Jacobi, Medienbeauftragter der deutschen Bischofskonferenz, und Hans Norbert Janowski, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, beschreiben das Wort zum Sonntag in ihrer Jubiläumsschrift korrekt als „Prüfstein der Geduld“. Sie lobten „so viel an Experiment, Variation, Alternative“ dieser Sendeform, in der zuweilen gesungen wurde und sogar Hunde oder „stumm sprechende Gegenstände“ Verwendung fanden. Trotz des innovativen Geistes kommt das Wort zum Sonntag seit nunmehr 40 Jahren nicht an der stationären Kamera und dem auktorialen Erzähler vorbei. Der bewahrende Geist des Christentums läßt sich vom zeitgeistigen Technikschnickschnak nicht verführen. Für fünf Minuten wird das Fernsehen wieder altväterlich. Hier soll der Mensch zuhörend zu sich selbst – und zu Gott – finden.

So hegen wir leise Zweifel an Reinhold Jacobis These, daß „von Gottes Taten zu einer vergleichsweise riesigen Menschenmenge“ gesprochen wird. Während die Verkündungssendung anfangs salbungsvoll den Programmschluß der ARD markierte, ist sie heutzutage zwischen Spielfilmen und Unterhaltungsserien längst zu einer sehnlichst erflehten Zäsur im irdischen Programmfluß verkommen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, die deutschen Wasserwerke verzeichneten während der Wortverkündung regelmäßig einen Anstieg des Verbrauchs. Ein Zusammenhang zwischen Gottes Wort und den deutschen Toilettenspülungen scheint nicht ganz ausgeschlossen.

Sei es, wie es sei, so mancher ARD-Hirte war uns allemal lieber als die telegenen Fernsehpopen der Neuzeit, wie Günter Strack, Jürgen Fliege und Klaus Wennemann. Gern erinnern wir uns an die klugen Worte des Berliner Politpastors Heinrich Albertz oder an Jörg Zink, Lieblingsevangele der lesenden Zunft. Markigster Protagonist der medialen Gardinenpredigt war und blieb aber Pfarrer Adolf Sommerauer. Bevor er in seiner ZDF-Halbstundensendung „Pfarrer Sommerauer antwortet“ zum Seelenhirten der Fernsehnation avancierte, erwarb sich der Träger des Bayerischen Verdienstordens als Sonntags-Wortgeber TV-Reputation. Lange vor dem Start der Privaten verurteilte er voll dunkler Ahnungen „diesen miesen Sextrend“ der Öffentlich- Rechtlichen. Was würde Pfarrer Sommerauer wohl zu den vielen Programmdirektoren sagen, die dieser Tage so würde- und gottlos ums goldene Quotenkalb tanzen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen