: Karussell der Verantwortungslosen
■ Vor dem Aids-Untersuchungsausschuß präsentieren die Zeugen ihr gutes Gewissen: Zuständig sind immer die anderen
Dem Abgeordneten Horst Schmidbauer wurde fast schwindlig, so schnell schoben die Zeugen die Verantwortung hin und her: „Mir kommt das vor wie ein Karussell, bei dem mal eben einer auf- und einer abspringt“, konstatiert der SPD-Obmann im Aids-Untersuchungsausschuß des Bundestages kopfschüttelnd. Denn Bluter- Ärzte, Pharmahersteller und hohe Gesundheitsbeamte, die Anfang der 80er Jahre mit HIV-infizierten Blutprodukten befaßt waren und nun seit Ende April aussagen, sehen auch im Rückblick keinen Anlaß zur Selbstkritik. Und wenn einmal eine konkrete Frage zu klären ist, dann heißt die Antwort regelmäßig: Dafür war ein anderer zuständig. Seit Herbst 1993 bemüht sich der Aids-Ausschuß darum, den Skandal um HIV-infizierte Blutprodukte aufzuklären: Wahrscheinlich 2.000 Menschen in der Bundesrepublik haben sich durch aus Blut produzierte Gerinnungspräparate oder durch Bluttransfusionen mit HIV infiziert, etwa 400 von ihnen dürften schon gestorben sein. Versäumnisse und schwere Fehler, so ergab die monatelange Durchsicht der Akten, sind für die Infektion der Bluter verantwortlich. In den öffentlichen Anhörungen fragen die Abgeordneten gegenwärtig, ob nicht schon im Jahr 1983 die Risiken zu erkennen gewesen wären – und ob folglich nicht die hämophilen Patienten hätten gewarnt sowie die nicht virusfreien Produkte gesperrt werden müssen.
Geladen waren in der vergangenen Woche auch jene Experten, die als Hauptverantwortliche gelten dürfen: Professor Hans Egli, bis 1989 Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Uni Bonn und damit Chef des weltweit größten Behandlungszentrums für Bluter, Hans-Hermann Brackmann, Leiter der Hämophilie-Ambulanz am Bonner Bluter- Zentrum, schließlich Professor Karl Überla, in der entscheidenden Phase Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA) in Berlin. Neben Pharma-Vertretern wurden auch die BGA-Virologen Meinhard Koch und Johanna L'age-Stehr befragt, die in Deutschland als erste die Gefährlichkeit der damals noch unerforschten Krankheit erkannt hatten. Ferdinand Ries, ein Assistenzarzt der Bonner Neurologie, hatte vom Bluter-Zentrum einen todkranken Patienten überwiesen bekommen, der im Mai 1982 an einer seltenen Gehirnerkrankung starb – wie sich später herausstellte, der erste Aids-Fall eines Bluters in Deutschland. Ries war damals schon auf der richtigen Fährte und teilte seinen Aids-Verdacht dem BGA schriftlich mit, wie er dem Ausschuß erklärte. Die Berliner forderten mehr Informationen an, Egli und sein Oberarzt Brackmann aber teilten den Verdacht des Neurologen nicht — ihre Behandlungsmethoden hätten sie sonst umstellen müssen. Die Anfrage aus Berlin blieb unbeantwortet.
Zeuge Brackmann, lange behandelnder Arzt des Gestorbenen, will für die Anfrage im nachhinein nicht zuständig gewesen sein. Auch sein Chef Egli verweist auf andere. Etwa wenn es um die Klärung der Frage geht, wie es kommen konnte, daß sein Institut prozentual am Umsatz von (im nachhinein todbringenden) Blutprodukten beteiligt war. „Dafür war die Verwaltung zuständig.“
Karl Überla, der Ex-BGA- Chef, der ein Ermittlungsverfahren wegen der Infektionsfälle unbelastet überstand, hat nach eigener Einschätzung damals „alles versucht, was mir möglich war“. Zwar verzögerten Einsprüche der Pharma-Unternehmen gegen Auflagen des BGA zum Umgang mit Blutprodukten im Jahr 1984 seinen Angaben nach Schutzmaßnahmen um sechs Monate, obwohl schon damals ein Produkt (Behring HS) auf dem Markt war, bei dem die Viren durch Hitze inaktiviert waren. Trotzdem, so erklärt er den Abgeordneten, seien für die Aids- Fälle unter Blutern Menschen nicht verantwortlich zu machen: „Es war eine Naturkatastrophe, die über uns hereingebrochen ist.“ Hans Monath, Bonn
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