: Klassische Begehrensverfehlung
■ Die Performance von „-Innen“: Persiflage der Medienwelt
Auf eine herzförmige Leinwand wurden Fernseh-Szenen projiziert, während die vier Frauen in grauen Laborkitteln am weißen Konferenztisch daneben eine seriöse Symposionathmospäre verbreiteten. Ausgangspunkt der kommentierten Videoschau der Hamburger Gruppe -Innen war die These, daß der moderne Fernsehzuschauer gefährliche Parallelen aufweist zu Narziß, der ebenfalls durch ein Medium, der spiegelnden Wasseroberfläche, einem Trugbild unterliegt.
Lustig und lehrreich zugleich persiflierten die Medienarbeiterinnen Korinna Knoll, Ellen Nonnemacher, Janine Sack und Cornelia Sollfrank am Freitag abend im Westwerk die schöne neue Medienwelt.
Die Zugangsweise wurde dabei durch die beiden Titel umschrieben. Zeigt „Wo ich geh und steh, tut mir mein Herz so weh“ die Herz-Schmerz-Variante, gibt sich „Narzißmus in den Medien am Beispiel Fernsehen, 1.1 Das Begehren“ ganz wissenschaftlich.
Narziß versteht nicht, daß alles, was er sich für sein Spiegelbild wünscht, nur von ihm selbst kommen kann. Kommentar auf der Leinwand: „Ach, auch ich habe mich noch nicht gefunden!“
Zwischen den mit neuem Ton unterlegten Serienausschnitten wurden auf exakten Schautafeln die Spielszenen wissenschaftlich abstrakt analysiert: Narziß, das „ich“ ist „n“, sein Spiegelbild „n'“. „n+n'= G“, das große Glück. Weil „n'“ aber nicht real ist, wird das große Glück nicht erreichbar und nur „g“, das kleine, flüchtige Glück bleibt. Das „ich“ versammelt sich mit seinem Spiegelbild und seinem unerfüllten Begehren vor dem Fernseher und bleibt für das große Glück unerreichbar. Dabei wird es häßlich und einsam: „Das macht ja nichts, es sieht ja keiner“.
Im zweiten Teil der Performance äußerten -Innen als Schauspielerinnen im Film typische Wunschträume und zerpflückten sie anschließend live: „Auch hier haben wir es wieder mit einer klassischen Begehrensverfehlung zu tun...“ Die Vorstellungen vom Mann als „Abenteurer“ oder als Arnold Schwarzenegger seien gleichermaßen eine Illusion. Da es bei solchen nicht allzu neuen Weisheiten doch sehr auf die Form ankommt, war es schade, daß neben dem Amüsement die wissenschaftliche Persiflage dabei nicht streng genug durchgehalten wurde.
Am Ende blieb die Erkenntnis, daß das einzig Reale am Fernsehen das Ein- und Ausschalten ist, der Alltag auch jenseits des TV-Geräts interessant sein kann und die „Große Erfüllung“ strukturell unmöglich ist. Falls Sie, liebe LeserInnen, aber – wider jedes Erwarten – den Eindruck haben, Ihr Begehren sei erfüllt, rufen sie bitte im -Innen-Studio unter 38619816 an.
Hajo Schiff
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