Lotteriespiel mit dem Leben

■ Wie krank muß ein Aids-Patient sein, um vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden?

Ein „Lotteriespiel“ mit dem Leben – Glück und Zufall spielen für Aids-kranke Gefangene in Hamburgs Haftanstalten eine wichtige Rolle, damit sie wenigstens ihre letzten Lebensmonate in Freiheit verbringen können. Behauptet GAL-Justizreferent Peter Mecklenburg. Der Fall Hans-Theo W. untermauert seine Aussage.

Vor neun Jahren hatte sich Hans-Theo W. mit dem HIV-Virus infiziert, die vergangenen sechs Jahre verbrachte er in Fuhlsbüttels Anstalt 2. Eigentlich hatte er noch einige Jahre abzusitzen, aber dann begann sich sein Gesundheitszustand dramatisch zu verschlechtern.

Zur Begutachtung seiner Krankheit wurde ein Facharzt des Bernhard-Nocht-Institutes herangezogen. Und dessen Urteil klang unmißverständlich: „Zusammenbruch der Immunabwehr, ständige ärztliche Betreuung in einem spezialisierten Zentrum erforderlich, schnelles und richtiges Eingreifen lebenswichtig“. Eine sofortige Haftentlassung, so der Mediziner, sei dringend angezeigt.

Doch trotz der deutlichen Sprache folgte die Hamburger Staatsanwaltschaft dem Rat des Facharztes nicht. Sie forderte statt dessen ein zweites Gutachten an. Als der angefragte Mediziner jedoch mangels Fachkompetenz die Begutachtung ablehnte, entschied die Staatsanwaltschaft ohne eine zweite Untersuchung: Die Haftentlassung wird abgelehnt, der Zustand von Theo W. sei nicht lebensbedrohlich. Der . wandte sich an die GAL-Fraktion – und ist seit einer Woche frei. Die Grünen hatten umgehend Justizsenator Klaus Hardraht eingeschaltet. Und der teilte die Auffassung seiner Staatsanwälte offensichtlich nicht – zwei Tage nachdem er den Fall auf den Tisch bekommen hatte, wurde W. entlassen.

Dies sei nicht das erste Mal, so Peter Mecklenburg, daß ein Aids-kranker Gefangener erst auf Intervention hin freigekommen sei. „Die Ärzte des Bernhard-Nocht-Institutes haben uns darauf aufmerksam gemacht, daß es für diese Fälle dringenden Klärungsbedarf gibt“.

Es bedürfe verbindlicher Richtlinien, bei welchen Krankheitsanzeichen eine vorzeitige Haftentlassung von Gefangenen in die Wege geleitet werden müsse. „Bislang ist das dem Gutdünken und der Einschätzung der einzelnen Anstaltsärzte überlassen“, so Mecklenburg.

Sannah Koch