: Ab Juni darf man nicht mehr auf die Straße kotzen
■ Per „Gefahrenabwehr“ und „Kotzsteuer“ rückt Koblenz Obdachlosen zu Leibe
Koblenz (taz) – Paul sitzt auf dem Zentralplatz in Koblenz auf dem Betonrand eines Blumenkübels in der warmen Frühlingssonne und genießt sein erstes Dosenbier. Die Nacht hat der 52jährige „auf Platte“ an der Uni verbracht. „Alles easy!“, sagt Paul, denn an der Uni würden die Berber geduldet. Doch das „easy living“ wird für Paul bald vorbei sein, denn die Stadt Koblenz hat Stadtstreichern den Kampf angesagt. Mit einer sogenannten Gefahrenabwehrverordnung wollen die Magistralen der Touristenkommune Obdachlosigkeit im Stadtgebiet verbieten. Und Menschen, die sich in Koblenz übergeben müssen, sollen von „Ordnungskräften“ demnächst zur Kasse gebeten werden. „Kotzsteuer“ nennen die KoblenzerInnen diesen zweiten Teil der von CDU, FDP und Freien WählerInnen im Stadtparlament verabschiedeten Verordnung.
Gegen 11 Uhr sind sie zu fünft die „Standardbesetzung“ auf dem Zentralplatz. Im Zehnminutentakt ziehen sie kollektiv die Ringe von den Bierdosen. An den fünfen auf dem öden Zentralplatz vor „Hertie“ stört sich kein Mensch. Gegen Mittag haben Paul und seine Freunde erst einmal den Kanal voll. Dann tippeln sie zur „Schachtel“, um dort eine heiße Suppe zu essen, denn: „Etwas warmes“, so Paul, „braucht der Mensch!“
Jürgen Maus, Sozialberater und Streetworker bei der „Schachtel“, einer Initiative für Wohnungslose, kümmert sich um die Koblenzer Obdachlosen, von denen es rund 200 geben soll. Für die, so Maus, stelle die Stadt gerade mal 29 Schlafplätze zur Verfügung. Die Empörung über die „Gefahrenabwehrverordnung“, die am 1. Juni in Kraft treten soll, ist groß: „Da werden soziale Probleme mit dem Ordnungsrecht bekämpft“, kommentiert Maus das Vorhaben der Stadtväter und -mütter. Statt den Obdachlosen mehr Schlafplätze anzubieten oder die akute Wohnungsnot anzugehen, würden obdachlos gewordene Menschen einfach als „Gefahr“ bezeichnet, die es „abzuwehren“ gelte.
Auf einer Anhörung zur „Gefahrenabwehrverordnung“ im März ließ sich der Magistrat der von CDU, FDP und Freien Wählern regierten Stadt nicht einmal von kritischen Stimmen aus dem Polizeipräsidium beeindrucken. Die Exekutive sorgt sich um den Vollzug der plakativen Vorlage. Schließlich sei es den ohnehin überlasteten Beamten nicht zuzumuten, hinter jedem Zecher herzulaufen, der sich vielleicht auf offener Straße erbrechen könnte. Ob es zu den Aufgaben von Polizeibeamten gehöre, Obdachlose zu wecken und dann vor die Tore der Stadt zu fahren, sei eine Frage, die wohl in der Landeshauptstadt entschieden werden müsse. Die Fraktion der Bündnisgrünen im Stadtparlament hat inzwischen das „Gefahrenabwehrgesetz“ dem für die Kommunalaufsicht zuständigen Regierungspräsidenten zur Prüfung übergeben.
Die Stadtväter in Koblenz interessiert das alles nicht. Notfalls, so war aus dem Rathaus zu hören, werde man mit eigenen Ordnungskräften den Vollzug der „Gefahrenabwehrverordnung“ garantieren. Seit der Kaiser wieder am Deutschen Eck steht, rechnet man im Rathaus mit einem sommerlichen Touristenboom. Die alte Römerstadt (9. n. Chr.) will sich ihren Gästen dann offenbar „berberfrei“ präsentieren. Für die Jungsozialisten in Koblenz sind dagegen die anstehenden Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz der eigentliche Hintergrund für die „erschreckende Reaktion“ des Stadt. Kurz vor den Kommunalwahlen am 12. Juni, so der Sprecher der rheinland-pfälzischen Jusos, Hilmar Reinemann, solle der Bevölkerung offenbar eingeredet werden, daß man Obdachlosigkeit durch repressive Maßnahmen bekämpfen könne. Das sei eine „Lösung“, die an Praktiken autoritärer Systeme erinnere. Die Jusos fordern die Stadt auf, endlich die Verbände materiell zu unterstützen, die sich für Obdachlose einsetzten. Schließlich bilde die Stadt – zusammen mit ostdeutschen Kommunen – das Schlußlicht in der Statistik der Obdachlosenunterkünfte. K.-P. Klingelschmitt
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