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Rheinisch-katholisch und bescheiden

■ Das Bauhaus-Archiv zeigt Adolf Meyer, den Architekten neben Walter Gropius

Könnte ein Analphabet ein Schriftsteller sein oder jemand, der nicht zeichnen kann, ein Architekt? Dieses Kunststück gelang Walter Gropius, dem Gründer des berühmten Bauhauses. Seiner Geliebten, Alma Mahler, schrieb er 1910: „Ich kann nicht zeichnen, aber ich beginne mich damit abzufinden, ist es nicht vielmehr die Stärke des Gedankens, die wir suchen?“ Walter Gropius war trotzdem entschlossen, die Familientradition als Architekt fortzusetzen und hatte große Ambitionen.

Da Gropius seine architektonischen Ideen nur mündlich überliefern konnte, war er allerdings auf die zeichnerische Umsetzung durch andere angewiesen. Sein ungewöhnliches Handicap wurde noch verstärkt durch mangelndes handwerkliches Können, denn er hatte nie eine baufachliche Lehre absolviert. Das Architekturstudium brach er nach drei Semestern ab, dafür aber vertraute sein Onkel ihm mit nur 20 Jahren den Bau eines Arbeiterwohnhauses in Pommern an. Praxis konnte der junge Student deshalb vorweisen, als er durch Vermittlung des einflußreichen Mäzens Ernst Osthaus die Möglichkeit erhielt, zwei Jahre lang das Architektenhandwerk in dem damals fortschrittlichsten deutschen Architekturbüro bei Peter Behrens in Berlin zu erlernen.

Hier begegnete er 1908 auch Adolf Meyer, einem aufstrebenden jungen Architekten aus bescheidenen rheinisch-katholischen Verhältnissen. Meyer spielte bald die Rolle eines unentbehrlichen Partners, ohne daß dies jedoch namentlich deutlich wurde. Gropius war im Gegenteil stets bemüht, den Anteil von Meyer an seinen Entwürfen herunterzuspielen: Aufgewachsen im großbürgerlichen Berliner Milieu, konnte er seine Ideen brillant formulieren. Gropius betrieb eine ausgeprägte publizistische Selbstdarstellung, mit der er die historische Überlieferung maßgeblich beeinflußte. Da Adolf Meyer bereits 1929 tödlich verunglückte, nur vier Jahre nach Beendigung der Zusammenarbeit mit Walter Gropius, konnte er nicht mehr aus der Rolle eines Zuarbeiters und Angestellten heraustreten. Dieses Schicksal jedoch ist unter Architekten nicht ungewöhnlich. Ähnlich Meyer erging es zum Beispiel Pierre Jeanneret, dem Partner des Architekten Le Corbusier, ohne dessen Arbeit Le Corbusier heute vielleicht nur noch als Maler bekannt wäre.

Die vielschichtige Verbindung zwischen den Architekten Meyer und Gropius wurde jetzt wissenschaftlich untersucht. Das kenntnisreiche Buch von Annemarie Jaeggi, publiziert als 500 Seiten starker Katalog zur Ausstellung „Adolf Meyer. Der zweite Mann. Ein Architekt im Schatten von Walter Gropius“, versucht erstmals, auf einer breiten Basis Meyers Lebenswerk zugänglich zu machen. Zwar werden Person und Werk hier verdientermaßen gewürdigt, ohne Walter Gropius ist Meyer aber nach wie vor kaum denkbar. Meyer selber charakterisierte seinen Baustil als „einfach, simpel, (und) aufrichtig“, was auf seine Person ebenso zutraf wie auf sein Werk. In dieser Definition deutscher Gründlichkeit und Genügsamkeit fehlt deutlich der Glamour des großen Architekten, wie Gropius ihn verkörperte. Die Ausstellung des Bauhaus-Archivs versucht deshalb, den vergessenen Meyer in seiner Eigenständigkeit zu rehabilitieren und präsentiert ihn von der Entwurfseite her. Doch dabei konzentriert sich das Museum zu einseitig auf detailreiche Architekturpläne, Skizzen und Entwürfe. Für den geschulten Fachmenschen sind die Grundrisse sicherlich aufschlußreich, für ein kunsthistorisch interessiertes Publikum ist die Auseinandersetzung mit der Planerwelt eher mühselig.

In der Darbietung des Bauhaus- Archivs bleibt die Person Meyers zudem völlig unterbelichtet; obwohl der Katalog das reichhaltige fotografische Material rühmt, ausgestellt hat man es leider nicht. In der Präsentation wie in der Wahl der Objekte fehlt der Sinn für Abwechslung, Vielfalt und Sinnlichkeit. Die 16 Jahre währende Zusammenarbeit der beiden Männer ist zwar das Thema der Ausstellung, wird aber selbst nicht thematisiert. Die Zurschaustellung einiger angestaubter, von Meyer entworfener Möbel lockert die Ausstellung kaum auf. Ähnlich willkürlich wirkt ein lädiertes Fensterelement der Fagus-Werke in Alfeld, das an den weißen Ausstellungswänden des Bauhaus-Archivs verloren emporragt. Der Versuch, die Ausstellung als architekturhistorische Ergänzung zu dem umfangreichen Buch von Annemarie Jaeggi zu inszenieren, führt dazu, daß man diese Ausstellung erst gelesen haben müßte, bevor man sie sieht. Anja Baumhoff

„Adolf Meyer. Der zweite Mann. Ein Architekt im Schatten von Walter Gropius.“ Bis 29.5. im Bauhaus-Archiv Berlin.

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