: „Ich verfolge keine sozialistische Utopie“
Im brandenburgischen Schulzendorf ist er seit der Kommunalwahl im letzten Dezember im Amt: Herbert Burmeister, einer der zwei gewählten PDS-Bürgermeister ■ Aus Schulzendorf Anja Sprogies
Eichwalde und Zeuthen einmal durchgekaut und wieder ausgespuckt macht Schulzendorf. Das kleine 5.800-Einwohner-Nest liegt am Rande der beiden Nobel-Vororte Berlins, in denen die Immobilienhändler jetzt wieder mit Millionen jonglieren. Schulzendorf aber ist der Ort des kleinen Mannes, in dem noch immer das Geld für die Renovierung des Hauses fehlt. Eigentlich hätte diese Aneinanderreihung kleiner Einfamilienhäuser und Datschen keine Chance gehabt, jemals in die Medien zu kommen. Wäre da nicht die Stichwahl um den Bürgermeisterposten im Dezember vergangenen Jahres gewesen. An diesem Tag übergaben die Dorfbewohner das Ruder wieder einem ehemaligen SED-Kader und heutigen PDS-Mitglied: Herbert Burmeister wurde ihr hauptamtlicher Bürgermeister. Einhundert Tage ist er nun im Amt. Und noch immer steht das ausgewiesene Gewerbegebiet leer. Die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit liegt jenseits der vierzig Prozent. Die Elektro GmbH ist der einzige größere Betrieb in Schulzendorf, und das wird wohl auch so bleiben. Nur eine Berlinerin will inmitten von Frittenbuden ein indisches Restaurant eröffnen. Aufschwung Ost.
Den Vorwurf, er sei ein „Investorenschreck“, will Burmeister nicht auf sich sitzen lassen. Vielmehr meint er: „Mögliche Investoren und ich haben gemeinsame Probleme.“ Zum Beispiel mit dem Abwasser. Noch immer hat kein Abwasserrohr Schulzendorf erreicht. Der Bürgermeister will jetzt zusehen, „daß das schnellstens klappt“. Und entschuldigend fügt er hinzu: „Die Investoren bleiben doch im ganzen im Land weg.“ Burmeister hat im Wahlkampf auch nicht den großen Aufschwung versprochen. Er möchte „für die Menschen da sein“, meint er etwas oberflächlich. Doch welche Ziele verfolgt er konkret?
Eine Turnhalle müsse gebaut werden. Aus dem Potsdamer Fördertopf bekommt Schulzendorf für dieses Projekt aber kein Geld. „Nicht deshalb, weil ich in der PDS bin“, fügt Burmeister schnell hinzu. Sein Verhältnis zur Landesregierung sei „nicht schlecht“. Burmeister will auch die sandigen Dorfwege pflastern. Und die örtliche Mülldeponie muß „verschlossen werden.“
Der PDS-Mann hat ähnliche Probleme und Ziele wie seine Kollegen in den umliegenden Gemeinden. Zu seiner Partei gibt es „nicht viele Kontakte“. Der Bürgermeister verfolgt auch keine „sozialistischen Utopien“. Ihm ist klar: „Wunder sind nicht zu vollbringen. Für Wunder braucht man Geld.“ Die Schulzendorfer halten trotzdem zu ihm. „Die Leute haben den Menschen Burmeister gewählt, nicht die Partei“, meint die Hortleiterin Roswitha Eggert. „Er hat sich schon vor der Wende für uns eingesetzt.“ Auch auf der Straße verliert niemand ein böses Wort über den neuen Bürgermeister.
Eine seiner größten Sorgen ist „Mr. Israel“
Seine Karriere ist gerade. Angefangen hat er als Lehrer für Staatsbürgerkunde und Geschichte. 1989 wurde er in die historische Kommission des ZK berufen. Die nun folgenden Monate des politischen Umbruchs hat Burmeister als einen „sehr schmerzhaften Prozeß“ in Erinnerung. Er hatte Schwierigkeiten, zu verstehen, „warum das gesellschaftliche Modell der DDR nicht lebensfähig war“.
Nach der Wende fiel ihm der Geschäftsführerposten einer PDS- nahen Stiftung in den Schoß. Schon damals will der Mann, der nach eigenen Worte zweimal „negativ gegauckt“ wurde, gesagt haben: „Wenn die Leute mich direkt wählen können, kandidiere ich zum Bürgermeister.“ Heute ist er es, und ihn plagen große Sorgen. Die größte nennt die Hortleiterin abfällig „Mr. Israel“. Burmeister spricht etwas vorsichtiger von der „jüdischen Erbengemeinschaft“, die in dem Dorf auf 3.763 Objekte Rückübertragungsansprüche gestellt hat. Zwei Drittel der Häuser sind davon betroffen. Auch das von Burmeister. Er rechnet damit, daß erst in fünf Jahren der letzte Antrag der Erbengemeinschaft entschieden sein wird. Eine lange Zeit für ein Dorf, dessen Häuser vom Verfall bedroht sind.
1890 hatte die jüdische Familie „Israel“ das ehemalige Rittergut Schulzendorf übernommen. Nach und nach verkaufte sie „aus Geldsorgen“ (Burmeister) einzelne Parzellen, bis sie nach Hitlers Machtergreifung alles verlor. Der Bürgermeister versteht aber nicht, wie die Erbengemeinschaft zum Beispiel Anspruch auf ein Grundstück erheben konnte, das bereits 1911 verkauft wurde. Er argumentiert vorsichtig: „Ich würde mich freuen, wenn die Familie die Ansprüche zurücknimmt, die offensichtlich unbegründet sind.“
Burmeisters Gesicht wird an diesem Tag zum ersten Mal ärgerlich. Eigentlich ist er stinksauer auf die jüdische Erbengemeinschaft. Doch ihm ist klar, daß er das so nicht sagen darf. „Mr. Israel“ ist ein schwieriger Fall für einen PDS- Bürgermeister mit Geschichtsbewußtsein.
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