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Zu Felipe González gibt es in Spanien vorerst keine Alternative

■ Vetternwirtschaft unter Genossen kommt vors Parlament

Madrid (taz) – „Ich habe euren Wink verstanden!“ hatte Felipe González nach dem Verlust der absoluten Mehrheit in der Wahlnacht vom 6. Juni vergangenen Jahres dem Fußvolk versichert. Mit bloß noch 159 von 350 Sitzen in den Cortes war er seither auf die Unterstützung der katalanischen Nationalisten angewiesen, die sich mit weiteren Zugeständnissen an die autonome Verwaltung ihrer Region entschädigen ließen. Ihnen war eine schwache Sozialisten-Regierung allemal lieber als die Herrschaft der chauvinistischen Rechten. Heute muß sich González vor dem Madrider Parlament wegen der Vetternwirtschaft verteidigen, die im Verlauf der letzten Woche eine Reihe seiner Genossen ihre Ämter kostete.

Zu mehr als stiller Partnerschaft im Parlament waren die katalanischen Nationalisten nicht bereit. Entsprechend wenig Initiative zeigte das neue Minderheitenkabinett von González seit letztem Sommer. Der versprochene Sozialpakt mit den Gewerkschaften wurde einmal mehr der neoliberalen Wirtschaftspolitik geopfert, ohne daß die Reform des Arbeitsrechtes allen Forderungen von Unternehmern und Brüsseler Eurokraten entspräche.

Dafür wurden die Sozialisten alsbald von ihrer Vergangenheit eingeholt. Noch immer wird gegen Mitglieder ihres Vorstandes wegen der Parteispendenaffäre um die Briefkastenfirma Filesa ermittelt, über die Empfänger von Staatsaufträgen Kommissionen an die Genossen bezahlten. Dazu kamen seit einigen Monaten neue Enthüllungen über die ehemaligen Generaldirektoren von Notenbank und Guardia Civil, Mariano Rubio und Luis Roldán. Beide hatten ihre Ämter mit Deckung von Regierungsmitgliedern und womöglich sogar von González selbst zur persönlichen Bereicherung mißbraucht. Dazu gehörten Steuerhinterziehungen und Unterschlagungen in Millionenhöhe.

Als parlamentarische und gerichtliche Untersuchungen den Verdacht von Straftaten zu erhärten begannen, tauchte Roldán Ende April unter. Innenminister Antonio Asunción kostete die Flucht seines Untergebenen als ersten das Amt. Notenbankchef Rubio wurde zusammen mit seinem Geldwäscher De la Concha vorsichtshalber in Untersuchungshaft genommen, nachdem auch Landwirtschaftsminister Vincente Albero über krumme Geschäfte mit den beiden gestolpert war. Schließlich mußten mit dem sozialistischen Fraktionschef Carlos Solchaga und dem ehemaligen Innenminister Corcuera noch zwei weitere Schwergewichte aus dem engsten Vertrauenskreis von González ihre Abgeordnetensitze räumen, weil sie Rubios und Roldáns Machenschaften jahrelang tatenlos zugesehen hatten.

Lauter denn je riefen Opposition und Presse angesichts des peinlichen Schauspiels nach dem Sturz der Regierung und vorzeitigen Neuwahlen. Weder wagt jedoch die konservative Volkspartei José Maria Aznars einen Mißtrauensantrag, noch stellt sich González freiwillig der Vertrauensfrage. Die Rechte hat sich in ihrem Amoklauf gegen die sozialistischen Hilfstruppen aus Katalonien und dem Baskenland derart verrannt, daß sie weniger denn je auf deren Stimmen hoffen kann.

Mit erneuten Besserungsversprechen konnte sich González noch einmal das Stillhalten der Nationalisten sichern. Ein Superministerium für Inneres und Justiz soll unter dem parteilosen Richter Juan Alberto Belloch den Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft endlich austrocknen. Der mit demselben Vorsatz vor einem Jahr als Wahllokomotive angeheuerte Richter Baltazar Garzón mag daran freilich, wie so manche Landsleute, nicht mehr glauben. Er schmiß am Montag González und Belloch den Bettel hin mit dem bitteren Vorwurf, sie hätten ihn als Alibifigur mißbraucht.

Tatsächlich droht sich der sozialistische Hausputz auch diesmal in guten Vorsätzen zu erschöpfen. Aber selbst wenn er am 12. Juni die Wahlen für ein europäisches und andalusisches Parlament – wie absehbar! – haushoch verliert, dürfte das Stehaufmännchen González gegen die konzeptlose und minderheitenfeindliche Opposition Aznars überleben. Sollten ihm die Nationalisten die Gefolgschaft je kündigen, bleibt ihm immer noch der Trumpf eines Linksschwenks zum grün-roten Bündnis Izquierda Unida unter KP-Chef Julio Anguita. Auch dessen 18 Abgeordnete reichen zur Behauptung der parlamentarischen Mehrheit und sehen in einem schwachen González allemal das kleinere Übel als in einer Machtübernahme der Rechten. Alexander Gschwind

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