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■ Was ist Wahrheit?Unter Kontrolle

Was JournalistInnen tun, kann nicht scheitern – so wie etwa ein Stürmer neben das Tor schießt. JournalistInnen arbeiten allein mit der Sprache, ihre Aussagen können lediglich b e s t r i t t e n werden: ob Behauptungen wahr sind und Meinungen begründet, entscheidet sich im Streit um die journalistischen Aussagen selbst.

Das auszuhalten, fiel politischen Machthabern immer schon schwer. Die Versuche, journalistisches Handeln unter Kontrolle zu bringen, sind so alt wie der Journalismus selbst. Bereits Anfang der fünfziger Jahre entwarf die Adenauer-Regierung ein Bundespressegesetz, das den Begriff der Wahrheit für die Presse verbindlich definieren sollte – der Versuch, „eine Rechtsgrundlage für Zeitungsverbote“ zu schaffen, wie der Historiker Norbert Frei urteilt. Ein Jahrzehnt später scheiterte der CDU- Kanzler mit dem Vorhaben, eine eigene Deutschland- Fernsehen GmbH zu gründen, vor dem Bundesverfassungsgericht.

Sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß verursachte 1962 eine Regierungskrise, als er dafür sorgte, daß nach einem Spiegel-Artikel über Nato-Manöver mehrere Redakteure festgenommen und die Hamburger Redaktionsräume von der Polizei besetzt wurden.

Danach nahmen Mitte der sechziger Jahre die Bundesländer ihr Hoheitsrecht wahr, indem sie eigene Pressegesetze formulierten, die unter anderem das Recht auf Gegendarstellung festschreiben. Damit wird genau dem Umstand Rechnung getragen, daß es keine journalistischen Aussagen gibt, die sich objektiv messen ließen. Vielmehr sollen „tatsächliche Angaben“ auch aus Sicht der Betroffenen dargestellt werden können, damit sich die Öffentlichkeit ein umfassenderes Bild machen kann. Alles weitere muß dem öffentlich ausgetragenen Streit überlassen bleiben.

Oskar Lafontaines Entwurf macht mit diesem Prinzip Schluß. Das neue Gegendarstellungsrecht straft die JournalistInnen ab: Jede bestreitbare Aussage kann von nun an in gleicher Münze heimgezahlt werden. Die Zeitungen werden ihr Gesicht ändern, wenn die Titelseiten in Großbuchstaben „Gegendarstellungen“ ankündigen und jedes Doppelkinn-Foto ein Gegenfoto nach sich zieht. Sollte der Saarländer Landtag die Zusätze zum Presserecht verabschieden, ist der Journalismus dort ab heute zum Scheitern verurteilt. Der nächste Schritt heißt: Zensur.

baum

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