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Der Ausstieg aus der Chemie ist machbar

■ Die Umweltbehörde möchte Hamburgs Agrarflächen möglichst vollständig ökologisch bewirtschaften lassen. Laut Gutachten ist dies nicht nur möglich, sondern für die Produzenten auch rentabel Von Dierk Jensen

Grassierende Schweinepest, Lindanrückstände in der Babykost, haufenweise Giftbeutelchen an der Nordsee, galoppierender Rinderwahnsinn und undefinierbare Pestizidcocktails in Trinkbrunnen. Eine unendliche Schreckensliste, die das Agrobusiness arg ins Schlingern bringt. Es riecht nicht nach Landluft, sondern es stinkt bis zum Himmel. Wie es anders und besser sein könnte, beschreibt ein von der Hamburger Umweltbehörde in Auftrag gegebenes Gutachten, das jetzt auf dem Tisch liegt und das den Hamburger Ausstieg aus der konventionellen, chemieorientierten Landwirtschaft – immerhin auf rund 16.000 Hektar – minutiös-pragmatisch entwirft. Ergebnis: Der Einstieg in einen flächendeckenden kontrolliert ökologischen Anbau ist, wenn politisch gewollt, auch für die Landwirte, Obst- und Gartenbauern durchaus ökonomisch realisierbar.

„Völliger Blödsinn“ meint zwar die Fraktion der Ewiggestrigen im Bauernverband, doch lassen sich die Mitarbeiter der Umweltbehörde nicht irritieren: „Wir wollen langfristig eine flächendeckende, umweltverträgliche Landwirtschaft, die den Naturhaushalt sichern hilft. Wir setzen auf den Dialog mit den 1700 Bauern in Hamburg, leisten Überzeugungsarbeit“, so ein Sprecher. Auch Umweltsenator Fritz Vahrenholt weiß: „Ohne Mithilfe der Landwirte ist ein Ausstieg aus der chemieorientierten Landwirtschaft nicht zu haben.“

Die Stadt Hamburg, als Eignerin von rund 8000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche, begann 1989 mit der schrittweisen Ökologisierung. Unter dem damaligen Umweltsenator Jörg Kuhbier verpachtete man die städtischen Güter Wulksfelde und Wulfsdorf (zusammen 507 Hektar) – die in die Zuständigkeit der Umweltbehörde fallen – an ökologisch wirtschaftende Landwirte. Ein weiteres Gut, der 250 Hektar große Wohldorfer Hof im Osten der Stadt, wird – wenn die noch laufenden Vertragsverhandlungen abgeschlossen sind – möglicherweise ab diesem Sommer von „Bioland“ beackert. Erklärte Absicht der Bewerbergruppe Gustav Alvermann & Katz und Niemeyer ist es, die auf dem Hof erzeugte Milch direkt vor Ort zu verarbeiten. Damit würde die erste Hamburger Käserei in Betrieb gehen.

Chemiefreie Staatsgüter ohne Absatzprobleme

Hans-Joachim Becker, Abteilungsleiter für Landwirtschaft und Gartenbau in der Wirtschaftsbehörde begrüßt dies: „Ich finde das absolut dufte, daß ökologische Produkte direkt vor den Haustüren der potentiellen Abnehmer verkauft werden.“ „Nein, nein, ich bin nicht dagegen“, wehrt auch Karl Heinz Borchert, Geschäftsführer des Hamburger Bauernverbandes allzu eilige Interpretationen ab. „Unser Verband möchte die Existenz so vieler Betriebe, ob nun konventionell oder ökologisch, sichern. Flächendeckender ökologischer Landbau ist jedoch pure Illusion. Grüne Ideologie. Wenn's wirklich um die Wurst geht, sind nicht genügend Käuferschichten bereit, mehr dafür auszugeben."

Indessen zieht das Gut Wulksfelde nach fünf Jahren eine positive Bilanz. Im Hofladen an der Oberalster ist 1993 eine runde Million Mark Umsatz erzielt worden. Im chemiefreien Fruchtwechsel werden Kartoffeln, Getreide und Gemüse angebaut, Rinder, Hühner und Gänse artgerecht gehalten. Absatzprobleme hat man nicht; neben der Ab-Hof-Vermarktung gibt es Lieferkontrakte zu großen Hamburger Kantinen. Magenpoblemgeplagte Journalisten von „Gruner + Jahr“ und „Spiegel“ beispielsweise haben schon heute die Wahl zwischen „normal“ und ökologisch Produziertem. Auch die Lufthansa engagiert sich, täglich wird sie mit Wulksfelder Kartoffeln bedient.

Überdies sucht das Gut den direkten Kontakt zum Konsumenten. Es arbeitet zum Beispiel mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zusammen, die für ihre Mitglieder Fahrradtouren nach Wulksfelde veranstaltet. Im Stall, auf weichen Heuballen plaziert, und auf den Wiesen im Matsch stehend, bringen die MitarbeiterInnen von Wulksfelde den Ausflüglern den ökologischen Landbau näher. „Um“, so AOK-Ökotrophologin Petra Fricke, „die Distanz zur Landwirtschaft überwinden zu helfen und gleichzeitig aufzuklären. Wir wollen bestehende Skepsis gegen den auch zuweilen mißbräuchlich verwendeten Terminus ,Bio' ausräumen.“

Die Zielsetzung der Wulksfelder Ökobauern: „Wir wollen raus aus der ,schmuddeligen' Öko-Ecke. Wir wollen den großen Markt erobern“, bläst Andreas Brandt zur Marktoffensive. Und rechnet vor: „Unsere Preise liegen in der Erzeugung zwar 30 Prozent höher, doch können wir durch Direktvermarktung den Handel – der die Preise überproportional in die Höhe treibt – umgehen.“In der Tat resultieren mehr als 80 Prozent des üblichen Waren-Endpreises aus Verarbeitung, Transport und Handel.

Beim jetzt vorliegenden Ausstiegsszenario aus der konventionellen Landwirtschaft spielt die regionale Vermarktung eine große Rolle: Hamburger Bauern sollen für Hamburger Verbraucher produzieren. „Produktion und Absatz müssen wieder näher zusammenrücken, damit der Wahnsinn aufhört, daß Nahrungsmittel erst dann zur Delikatesse werden, wenn sie über 1000 Kilometer zurückgelegt haben“, wettert Brandt.

Wenn allein die 300.000 Mahlzeiten, die die Hamburger Beschäftigten in ihren Betrieben verzehren, die zig tausend Studentengerichte der elf Mensen und die häufig mangelhaften Speisen, die den 16.000 Patienten in den Krankenhäusern vorgesetzt werden, zu einem guten Teil aus Produkten des Hamburger Ökolandbaus zubereitet würden, wären laut Gutachten die von vielen Seiten befürchteten Absatzprobleme obsolet.

Integrierter Landbau nur „Übergangslösung“

Der in der Wirtschaftsbehörde für Ernährung, Landwirtschaft und Marktwesen zuständige Amtsleiter Binnewies beurteilt dies wesentlich reservierter. Er sieht bei einem flächendeckenden ökologischen Landbau erhebliche Absatzschwierigkeiten: „Wir müssen zuallererst die Nachfrage mobilisieren und nicht das Angebot ausweiten, um einen Überhang zu provozieren. Außerdem kommen unsere konventionell arbeitenden Landwirte zu 90 Prozent ohne Brüsseler Subventionen aus, deshalb favorisieren wir zunächst einmal diese Höfe." Sein Abteilungsleiter Hans-Joachim Becker, der der behördeninternen Arbeitsgruppe „Ökologischer Landbau“ angehört, sieht das auf längere Frist schon anders: „Ich halte den integrierten Landbau (Landwirtschaft mit Chemie, aber so wenig wie möglich. d. Red.) nur für eine Übergangslösung. Wir wollen den ökologischen Landbau mit auf den Weg bringen. Gerade der Verbraucher ist in letzter Zeit sehr hellhörig geworden, wie und was eigentlich in der Landwirtschaft geschieht."

Auch Jörg Kuhbier, frischgebackener SPD-Landeschef und Ex-Umweltsenator, hält den "„integrierten Landbau“ allenfalls für eine „Übergangsform“. „Mit der Forderung nach einer Ökologisierung der Landwirtschaft rennen sie bei mir offene Türen ein“, bekundet der Politiker. Neben den ökologischen Aspekten sieht Kuhbier auch eine arbeitsmarktpolitische Chance: Der arbeitsintensivere ökologische Landbau bietet neue Arbeitsplätze, die im konventionellen Agrarsektor in den vergangenen drei Jahrzehnten rasant verloren gegangen sind. Während etwa 1961 im Hamburger Gartenbau noch an die 9000 Menschen beschäftigt waren, sind es in den neunziger Jahren nicht einmal mehr die Hälfte.

Darüber hinaus kommt die Umweltorganisation Greenpeace in ihrer bundesweit angelegten Studie „Landwirtschaft 2000“ zum Ergebnis, daß den Landwirten zwar durch eine Umstellung auf Ökoanbau – zu Preisen des konventionellen Landbaus – Mindereinnahmen von ca. 10,2 Milliarden Mark entstünden. Doch könnte dies durch Umschichtung freiwerdender Mittel vom jetzigen Agrar-Etat aufgefangen werden. Es sei ein Potential von knapp 10 Milliarden Mark vorhanden. Der Steuerzahler müßte keine weitere Mark hinzubuttern.

Für den Konsumenten gibt es eine ökologische Produktion allerdings nicht zu Dumpingpreisen. Andreas Brandt sagt unmißverständlich: „An der Nahrung bedingungslos zu sparen, ist abso-luter Schwachsinn.“ Und in der Tat hofiert der Sparspleen im Nahrungsmittelbereich die fortlaufende Industrialisierung der Landwirtschaft. Die Genmanipulation wird von vielen als weitere kostensenkende „Innovationspille“ gesehen.

Wobei die Folgen der chemieintensiven Landwirtschaft schon heute verheerend sind. So hat das schleswig-holsteinische Umweltministerium kürzlich in einer umfangreichen Untersuchung festgestellt, daß in 20 von 213 Grundwasserbrunnen Wirkstoffe von Pestiziden vorhanden sind. 14 dieser 20 belasteten Brunnen mußten schließlich wegen zu hoher Giftkonzentrationen geschlossen werden. Im Kreis Pinneberg, wo das weltweit größte zusammenhängende Baumschulrevier für hohe Gifteinträge sorgt, sieht's besonders duster aus.

„Bisher sind, Gott sei Dank, in unseren Brunnen noch keine Pestizide nachgewiesen worden“, gibt die Pressesprecherin der Hamburger Wasserwerke (HWW), Gisela Matthée, (noch) Entwarnung. Um dies auch künftig zu vermeiden, kaufen die HWW im Zwei-Kilometer-Einzugsbereich ihrer Brunnen fleißig Flächen auf. Auf den mittlerweile 320 Hektar erworbenen Landwirtschaftsflächen wird ausschließlich „extensive Landwirtschaft“ betrieben, bei der die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Kunstdünger gänzlich verboten ist. Matthée: „Eine flächendeckende ökologische Landwirtschaft würde unserer Unternehmenspolitik entgegenkommen, wir begrüßen daher die Absichten innerhalb der Umweltbehörde außerordentlich.“

Die Neuverpachtung wird zur Nagelprobe

Doch auch wenn die Umweltbehörde die Ökologisierung favorisiert, ist sie bei der Entscheidung über Tempo und Art der Umstellung nur kritische Zuschauerin. Denn in einer Vereinbarung der rotgrauen Koalition bleibt die Landwirtschaft in der Zuständigkeit der Wirtschaftsbehörde. Da wundert es nicht, daß langanhaltendes Kompetenzgerangel am liebsten verschwiegen wird. Gegenseitige Höflichkeiten werden ausgetauscht, obwohl es um eine grundsätzliche Frage geht: Will man nun mit dem politischen Hebel der stadteigenen Flächen offensiv den ökologischen Strukturwandel forcieren – oder eben nicht? Zwar ist Landwirtschaft in der Ökologiedebatte ein eher peripheres Thema, doch gerade an diesem Bereich ist trefflich zu erkennen, wie ernst es der SPD mit dem „ökologischen Umbau“ wirklich ist.

Zur Nagelprobe kommt es, wenn die Wirtschaftsbehörde in vier Jahren über die dann auslaufenden städtischen Pachtverträge von 62 Vollerwerbsbetrieben neu zu entscheiden hat. Vorausgesetzt allerdings, daß die Flächen dann nicht schon längst anderweitig verplant sind und eines Tages unter Beton und Teer verschwinden. Denn die heute noch landwirtschaftlich genutzten städtischen Gelände sind eine nicht zu unterschätzende städtische Reserve, die bei Bedarf für Verkehr, Wohnen und Industrie vergeben werden.

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