: Ein Teufelskreis von Angst und Gewalt
■ Nach dem Tod des 20jährigen Hakan Eren machen dessen Freunde Politiker für die steigende Gewalt mitverantwortlich
„Als der Schuß fiel, haben offenbar alle weggeschaut“, meint der Anwalt der Familie des getöteten Hakan Eren. Der 20jährige war in der Nacht zum vergangenen Sonntag vor dem Tempelhofer Ullstein-Haus aus einer Gruppe von etwa 50 türkischen und arabischen Jugendlichen heraus erschossen worden. Zuvor hatten diese versucht, sich gewaltsam Zutritt zu einer Tanzveranstaltung von etwa 300 meist türkischen Jugendlichen zu verschaffen. Obwohl etwa 100 Zeugen die Tat beobachtet hätten, habe bisher keiner bei der Kripo ausgesagt, erklärte gestern Metin Sarikaya vom Türkenzentrum Berlin, wo auch Hakan Eren aktiv war. Da der Täter den Jugendlichen offenbar aber bekannt sei, fürchtet Sarikaya nun, daß die Jugendlichen den Fall „unter sich klären werden“.
Obwohl Hakan Eren kein Opfer rassistischer Übergriffe wurde, machten gestern sowohl Metin Sarikaya als auch Erens Schwester die deutschen Politiker für den Teufelskreis aus Angst, Bewaffnung und Gewalt verantwortlich. Sarikaya forderte ausdrücklich die doppelte Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht für Ausländer als Zeichen gegen das rassistische Klima in Deutschland und die zunehmende Gewalt. Um nach dem Tod Hakan Erens einer Eskalation vorzubeugen, forderte er die Tatzeugen auf, sich bei der Kripo zu melden, erhob aber gleichzeitig Vorwürfe gegen die Beamten: „Es ist unverständlich, warum die Polizisten keinen der Angreifer festgenommen haben, obwohl die schon beim ersten Versuch, die Veranstaltung zu stürmen, vor Ort waren.“
„Wenn die ausländischen Jugendlichen sich von der Politik und der Polizei verlassen fühlen“, sagte die 22jährige Schwester des Getöteten, „ziehen sie sich in ihre Clique zurück und organisieren sich hier eine Insel, auf der sie nicht länger hin- und hergeschubst werden.“ Für sie ist dieser Rückzug auch das Ergebnis psychischen Drucks: „Ständig hörst du ,Türken raus‘ und weißt nicht wohin, weil du hier geboren bist. Und trotzdem mußt du jedes Jahr zur Ausländerbehörde, die dir alle möglichen Auflagen macht.“
Daß die Jugendlichen schließlich nur noch an sich selber glauben, sich bewaffnen, ist für die Mitarbeiter des Türkenzentrums eine zwangsläufige Reaktion. Daß sie Waffen im Konfliktfall auch gegeneinander einsetzen, ebenfalls. „Dabei“, sagt ein gebürtiger Türke, der inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat, wollen nicht nur die Älteren in Ruhe hier leben, sondern auch die Jugendlichen. Doch die Realität sieht anders aus: „Heute erfährst du überall, wie man Schreckschußpistolen zu scharfen Waffen umrüstet“, so Hakans Schwester. Unter den Jugendlichen stehe bereits fest: „Wenn sie den Täter erwischen, ist er erledigt.“ Doch mit Rache, meint sie, komme die Stadt nie zur Ruhe. Aber es werde auch keine Ruhe einkehren, solange die Jugendlichen kein Vertrauen in die deutsche Politik haben könnten. Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen