■ Tip: Offene Wunde
Das Europäische Haus wird renoviert – auch in Böhmen. Alte Mieter tauchen wieder auf. Mit gemischten Gefühlen erinnert man sich an gutnachbarschaftliche Beziehungen und an den großen Hauskrach 1938 im „Sudeten- Gau“. Doch jener GAU gehört für viele Deutschstämmige längst zur Geschichte des kleinen Mannes, der damals leider nichts gegen die anti-tschechische Haßpropaganda hat machen können. Nach der „samtenen Revolution“ schien nun auch für die „Vertriebenen“ die Stunde des Wandels gekommen. Der in Frankfurt lebende böhmische Filmemacher Pavel Schnabel beobachtet die Zwischentöne dieser fast unmöglichen Annäherung. Mißverhältnisse schimmern ganz nebenbei durch. Vaclav Havel spricht „von einer qualitativ neuen Chance in den Beziehungen von Tschechen und Deutschen“. Bayern, das seit dem Jahre 1954 das „Patronat“ über die Sudetendeutschen hat, lehnt 1992 den Nachbarschaftsvertrag ab. Stoiber verlangt „Konsequenzen“, beschwört das „Recht auf Heimat“.
Schnabels Film siedelt den Konflikt tiefer an. Der böhmische Knoten erweist sich als vielschichtig verwobenes biographisches Mosaik. Schnabel geht es um die „nicht geheilte Wunde“, die dieses Jahrhundert und sein Nationalismus zwischen Tschechen und Deutschen in Tschechien hinterlassen hat. Tschechen erinnern sich an die Zeiten des Dorflebens, an Schrammelbälle, gütige Feudalherren, NS-Zeichen am Revers, Gehässigkeiten und heimliche Solidarität. Man ging im Schutz der Dunkelheit weiter zum tschechischen Schneider oder für fünf Monate in den Knast wegen eines Essenspäckchens für Kriegsgefangene.
Heute überwuchert Gras die Vergangenheit. Böhmerwäldler graben in weiter Flur, wo einst ihre Häuser standen, nach Familienporzellan. Ein Adliger kämpft um „seine“ Burg samt Familiengruft; die sudetendeutsche Schriftstellerin Barbara König um Versöhnung: „Ich habe gelernt, nicht mehr mit Völkern, sondern nur noch mit Menschen zu rechnen.“Dieter Deul
„Der böhmische Knoten“, heute, 20.40 Uhr, arte (Wiederholung am 16.Mai um 17Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen