■ „Gruß an die Väter“ in Magdeburg: „Ein dunkles Kapitel“
Ach wie angenehm, wie friedlich war es doch, wenn in der verblichenen DDR der „Herrentag“ begangen wurde. Schon im Betrieb kreiste die Flasche, dann ging es auf dem Kremser hinaus ins Ausflugslokal. Die Vopos, sonst exzessiv straf-, vor allem aber belehrungssüchtig, übersahen angesichts dieser Feier der sozialistischen Herrengemeinschaft selbst krasse Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Aufläufe von „Hooligans“ (der Begriff war auf verschlungenen Wegen von den USA in die Sowjetunion und von dort in die DDR gelangt) wurden Erich Mielkes Firma so gut wie nie vermeldet. Er selbst war allenfalls Gegenstand ironischer Suffparolen von Anhängern seines Vereins BFC wie zum Beispiel: „Wer soll unser Führer sein? Eeeerich Mielke!“
Jetzt hat der Führerkult, wie die „Sieg Heil“-Rufe der Magdeburger Rechtsradikalen vom Donnerstag abend lehren, an Harmlosigkeit entschieden eingebüßt. Die örtliche Polizeileitung war natürlich von der rechten Randale „vollständig überrascht“. Nie hätte sie, so der Polizeisprecher, gedacht, daß an einem „so besinnlichen und fröhlichen Feiertag“ sich Derartiges ereignen könne. War es die der früheren Idylle geschuldete fettärschige Routine, war es Blindheit gegenüber der Dynamik solcher Zusammenrottungen oder vielleicht sogar klammheimliches Einverständnis mit den Zielen der Meute, die die Einsatzleitung daran hinderte, ihre Polizeikräfte zu konzentrieren und – wenn nötig – Verstärkung anzufordern? „Ein dunkles Kapitel“, wie der Polizeisprecher meinte – allerdings nicht auf den Einsatz seiner Truppe anspielend.
Die gejagten „Asylanten“ suchten Schutz und fanden ihn in Gestalt der türkischen Angestellten zweier Döner-Buden. Eine Gruppe Afrikaner aus dem Heim bewaffnete sich mit Latten, um den Angegriffenen zu Hilfe zu eilen. So erfreulich beides ist, Solidarität wie Selbsthilfe, so gefährlich sind die möglichen Konsequenzen. Niemand kann künftig verhindern, daß die „ausländischen Mitbürger“ – von der Polizei im Stich gelassen oder sogar „einseitig“ entwaffnet – sich nur noch auf sich selbst verlassen werden, wenn es um den Schutz von Leib und Leben geht.
Zwar ist die Frage, welcher arbeitsfreie Tag der künftigen Pflegeversicherung in den Rachen geworfen werden soll, so gut wie entschieden. Aber die jüngsten „Ereignisse“ von Magdeburg und der trostlose „normale“ Ablauf dieses degenerierten, einstmals christlichen Himmelfahrtstags, an dem sich die niedrigsten männlichen Instinkte auf der Straße austoben, lassen es geraten scheinen, die Debatte erneut zu eröffnen. C.S.
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