: „Verjagte Schwestern, kommt zurück“
Der nächste Skandal um das Kloster von Auschwitz kommt bestimmt / Nach den Karmelitinnen sind rechtsradikale Veteranenverbände und eine Stiftung für Kinderdörfer eingezogen ■ Aus Oswiecim/Auschwitz Klaus Bachmann
Seit fast einem Jahr sind die Karmelitinnen aus Auschwitz ausgezogen. Doch im hochumzäunten Garten des Klosters stehen immer noch gelbe Warntafeln, die „no trespassing“ und „no demonstrations“ verkünden, als wäre es ein von feindlichen Spionen belagertes Fort. Hinter dem Zaun steht immer noch das acht Meter hohe Holzkreuz, neben den Nonnen zweiter Stein des Anstoßes, den viele jüdische Organisationen als weiteren Versuch kritisieren, den Ort des Massenmordes an Juden zu christianisieren.
Jeden Tag um siebzehn Uhr erscheint eine Gruppe alter Männer in einem roten Polski Fiat vor dem großen Holzkreuz, hängt zwei weiße Plakate an den Drahtzaun, entzündet ein paar Kerzen auf dem Boden und beginnt im Chor und ostentativ um die Rückkehr der Karmelitinnen zu beten. „Verjagte Schwestern“, lautet der Text des rechten Plakats, „kommt hierher zurück, wenn die Zeiten der gottlosen Juden vergangen sind.“
An diesem Tag beten die vier alten Männer „für den Papst, der gar nicht wollte, daß die Schwestern gehen, und für die Bekehrung der Juden, die das Kreuz stört“, wie einer von ihnen erklärt, „hier sind schließlich vor allem Polen umgekommen. Aber die Juden, die wollen jetzt Auschwitz judaisieren.“ Ein leichter Regen setzt ein, und die Männer verzichten auf die Litanei zum Abschluß. Zurück bleibt eine schwarze Tafel, die schon vor längerer Zeit mit soliden Eisenklemmen am Zaun angebracht wurde: „Am 3. VII. 1941 wurden hier 80 polnische politische Gefangene erschossen, unter ihnen der Bürgermeister von Krakau, Boleslaw Czuchajowski.“
Drei Kilometer weiter, im Gebäude der Stadtverwaltung des 50.000-Einwohner-Städtchens Oswiecim, breitet Julian Foksa, Vorsitzender des Stadtrats, seine Pläne auf dem Schreibtisch aus. Foksa saß während der deutschen Besatzung vier Jahre in Breslau hinter Gittern, später sperrten ihn dann Polens Kommunisten ein, wegen Zugehörigkeit zu den „Nationalen Streitkräften“ – polnisch unter dem Kürzel NSZ bekannt –, einer der radikalen Vorkriegsrechten entsprungenen Partisanenformation, die während des Krieges Morde und Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung begangen und gegen Kriegsende mit deutschen Einheiten kollaboriert hat.
„Ich bin nur dabeigewesen, weil ich gegen die Kommunisten kämpfen wollte“, erklärt sich Foksa, „mit den Nazis habe ich schon deshalb nicht kollaboriert, weil ich erst nach Kriegsende der NZS beigetreten bin.“ Vor einigen Monaten schlug Foksa vor, auf dem Gelände des Klosters ein Denkmal für die 1941 dort Erschossenen zu errichten. Das waren ausnahmslos Polen und Katholiken. Das Denkmal wird zwar nur ca. zwei Meter hoch sein, doch es wird etwas rechts von dem hohen Holzkreuz zu stehen kommen. Darstellen soll es einen knienden Pilger. „Vorbeikommender, sage Polen, daß wir in Treue zu Polen gefallen sind“, wird die Tafel verkünden. Rechtlich ist das Denkmal schon per Stadtratsbeschluß abgesichert, die Kosten sind im Haushalt für 1994 vorgesehen.
Wer die Verbotsschilder vor dem Kloster mißachtet, das Gittertor öffnet und sich nicht um die Wachhunde kümmert, der steht vor einer großen hölzernen Eingangstür, an die zwei große goldene Schilder angeschraubt sind, die ganz offensichtlich von gleicher Hand hergestellt wurden. Auf dem rechten steht „Archiv der polnischen Kriegsopfer“, auf dem linken „Stiftung der Kinderdörfer Maja“. Bevor die Nonnen im letzten Jahr auszogen, unterzeichneten sie mit den „Kriegsopfern“ einen dreißigjährigen Mietvertrag.
Die „Vereinigung der polnischen Kriegsopfer“ ist eine der jüngeren Veteranenorganisationen Polens, 1990 gegründet von Mieczyslaw Janosz, der in den sechziger Jahren zusammen mit seinen Brüdern in Westeuropa für Polens Geheimdienst ganz groß anschaffte. Die Bande räumte Juwelierläden aus, beging Banküberfälle und Versicherungsbetrügereien und schaffte ihr Diebesgut mit Wissen der Stasi waggonweise nach Polen, wo sich die zuständigen Beamten des Innenministeriums so ostentativ mit den kapitalistischen Klunkern behängten, daß die Parteiführung eine Untersuchung einleitete, die mit der Entlassung des Innenministers endete. Mieczyslaw Janosz dagegen wurde Anwalt, Schnapshändler und polnischer Nationalist. 1990 flog er aus der „Vereinigung der vom Dritten Reich geschädigten Polen“, nachdem er in Bielsko-Biala eine extrem antisemitische Versammlung geleitet hatte, und gründete seinen eigenen Verein, mit dem er von Deutschland über 500 Milliarden Mark Zwangsarbeiterentschädigung eintreiben will. In den Gremien des Vereins finden sich noch zahlreiche andere Vertreter des früheren PVAP-Betonflügels antisemitischer und nationalistischer Ausrichtung. Mit Janosz und seinem Verein will in Oswiecim niemand etwas zu tun haben – offiziell zumindest.
Wenige Tage nach Janoszs Einzug ins Kloster kündigte der Woiwode von Bielsko den Nonnen den Erbpachtvertrag. Da gelang den Nonnen und Janosz ein einmaliger Coup: Sie unterzeichneten noch einen Mietvertrag mit der „Stiftung Maja“. Für 300 Mark jährlich zog diese in den linken Gebäudeflügel ein. „Maja“, das ist Janusz Marszalek, angesehener Bürger der Stadt, der drei Kilometer hinter dem Vernichtungslager ein Kinderdorf für Waisen und Behinderte nach dem Vorbild von Hermann Gmeiners SOS-Dörfern baut. Er tut das mit der Unterstützung der Städte Oswiecim und Auerbach (Bayern), zahlreicher privater und höchst ehrenwerter Spender und nicht zuletzt der „deutsch-polnischen Stiftung für Zusammenarbeit“ in Warschau, die das Projekt mit ca. 1,5 Millionen Mark fördert.
Im Gegensatz zu Janosz und seiner Veteranentruppe ist „Maja“ absolut unangreifbar. Und so denkt ganz Oswiecim darüber nach, ob der Einzug von „Maja“ in das Kloster eine Verneigung Marszaleks vor Janosz oder umgekehrt war. „Wir haben mit Janosz nichts gemeinsam, außer dem Schild an der Tür“, versichert Janusz Marszalek. Mieczyslaw Janosz hatte auch dem „Verband der polnischen Zigeuner“ einen Mietvertrag angeboten. Und obwohl der Verband seit Jahren mit den Behörden um eine Baugenehmigung für ein Kulturzentrum kämpft, lehnte er ab. „Der Ort war uns einfach ein bißchen zu kontrovers“, erklärt ein Vorstandsmitglied, „und die Nachbarschaft von Herrn Janosz auch.“
Das Problem löste am Mittwoch auch Polens Oberstes Verwaltungsgericht nicht. Die Entscheidung, ob das Kloster dem Staat oder den Nonnen gehören soll, wurde ausgesetzt. Einstweilen bleibt alles beim alten. Zurückkehren werden die Ordensschwestern nicht, doch Janosz, „Maja“ und das große Holzkreuz können bleiben.
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