: Wo die Nichtigkeit rauscht
■ „Madame, es ist angerichtet“ - eine rasante Komödie im Ernst-Waldau-Theater
Eine Inszenierung „in bremischer Mundart“ hatte das Ernst-Waldau-Theater angekündigt. Und noch dazu hatte es dieses bislang unbekannte Idiom als „Missingsch“ bezeichnet, wo man doch da eigentlich an Hamburg, wenn nicht an Altona und Finkenwerder denkt. Die Sprachpfleger und Oberförster der Meere aus ganz Plattdeutschland hatten sich denn auch zur Premiere auf den Weg gemacht, um einem Sakrileg „an uns ole Modderspraak“ beizuwohnen.
Doch da konnte schon nach ein paar Minuten Entwarnung gegeben werden: Marc Camolettis Komödie „Madame, es ist angerichtet“ wurde in schlichtem Hochdeutsch gegeben, nur die Angehörigen des Haus- und Küchenpersonals durften zwischendurch ein bißchen sssteifen Zungenschlag und gar einige Sätzchen auf Platt vorführen. Übelnehmen konnte das eigentlich niemand, war doch mit Michael Scheidl ein Österreicher als Regisseur verpflichtet, und die Schluchtenscheißer sind bekanntlich auf Betrug, Heiratsschwindel und falsche Titel abonniert.
Alsdann zum Inhalt: Der Bernhard will mit seiner Freundin mal im eigenen Haus rummachen und gibt sie seiner Frau Jaqueline gegenüber als Geliebte seines Männerfreundes Robert aus. Der Robert aber ist insgeheim der Lover von Jaqueline und wird dadurch nicht schlecht in Verlegenheit gebracht. In diese Liederlichkeiten des gehobenen Bürgertums platzt dann aus dem Volk die kecke Haushaltshilfe mit ihrem Gärtnersmann hinein
Derart Grobgestricktes kann natürlich in die Hose gehen. Doch die Regie jagte das Ensemble derart prall in diese Nichtigkeit hinein, daß der ausverkaufte Premierensaal oft vor Gelächter erbebte.
Ganz und gar dafür verantwortlich die dreist bezaubernde Christina Bahr als das Mädel in der Küche: Da möchte man ihren Gärtnersmann Ferdinand um jeden Bühnenkuß beneiden. Bernd Poppe macht aus dem Hausherrn Bernhard einen prächtigen Slapstick-Macho, Sabine Junge hat, dazu passend, das damenhafte Format der betrogenen und zugleich betrügenden Ehefrau, und Heidi Jürgens als Geliebte aus der Model-Branche könnte im Abendkleid mit dem wahnsinnigem Rückenausschnitt glatt als Reinkarnation der jungen Nadja Tiller durchgehen, und Bernhard A. Wessels ist ein überzeugender bester Kumpel von Robert..
Wer nicht gleich jeden Dialog mit dem Apparat des kritischen Bewußtseins hinterfragt, kann an diesem Lustspiel durchaus reueloses Vergnügen finden. Als Pflichtveranstaltung aber möchte man es vor allem den Großmeistern der deutschen Bühnenbildnerei empfehlen: Wie Roland Wehner hier mit den bescheidenen Mitteln dieses Theaters ein so opulentes Großbürgerwohnzimmer gezaubert hat, mit all den Türen für die fälligen Verwirrspiele, das müßte die Gebieter über 1000 Möglichkeiten einigermaßen beschämen. Ulrich Reineking-Drügemöller
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