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Ein Hauch von Pflichtübung

■ Das Bremer Publikum wartete geduldig und tropfnaß auf seine grün-weißen Helden

„Jetzt geht's lo-hos“ sangen die Fans vor dem Bremer Rathaus, bis sie selber nicht mehr richtig dran glaubten. Doch dann, mit fast zweistündiger Verspätung, waren ihre Helden da: „Der Deutsche Pokalsieger 1994: Der SV Werder Bremen!“ wurde überflüssigerweise angekündigt, als sich die Mannschaft in Schlips und Kragen auf dem Rathausbalkon zeigte, um vor der Menge den gewonnenen DFB-Pokal zu schwenken. Jubel beim Volk, das im strömenden Regen den Marktplatz füllte, tosender Applaus etwas später für die Damen des TuS Walle, die direkt vom siegreichen Finale um den Europapokal der Pokalsiegerinnen ins Rathaus geeilt waren. (siehe auch Seite 24).

Überschäumende Begeisterung war bei den etwa 5.000 Werder-Fans kaum zu verspüren. So war es der stetige Nieselregen, der die grün-weiße Schminke von den Wangen wusch und die möglicherweise erhitzten Gemüter schon im Vorfeld kühlte. Eilig gedruckte T-Shirts mit dem Aufdruck „Pokalsieger 1994“ fanden trotz 10-Mark-Dumpingpreis wenig AbnehmerInnen: Die meisten hatten es sich in ihren „Deutscher Meister 1993“-Trikots eingerichtet und gaben ihr Geld für Nützlicheres aus: für grün-weiße Schirme zum Beispiel, die reißenden Absatz fanden. Und Fahnen, Fahnen, Fahnen: Werder und Deutschland in allen Variationen, Bremen, Norwegen (Rune Bratseth), Fahnen nach Bier und Korn. Manch einer unter den Fans hielt sich an der Bierdose fest und fiel nur deshalb nicht um, weil das Gedränge so groß war.

Über der ganzen Veranstaltung lag ein Hauch von Pflichtübung: Zu lange hatten die Fans im Regen gewartet, hatten für Werder und gegen den Regen angesungen. Viele hatten sich unter die schützenden Dächer der Freßbuden zurückgezogen, denn Bremen begrüßte seine heimgekehrten Helden mit dem typischen Schmuddelwetter. Ein Riesenunterschied zur Meisterfeier des letzten Jahres, die bei strahlendem Sonnenwetter stattgefunden hatte. Und nur wenige Fans schwebten im siebten Fußballhimmel: Im Gegensatz zur Deutschen Meisterschaft des letzten Jahres, als die Werderaner den Bayern wirklich am letzten Spieltag noch die Lederhosen auszogen, war der mühsame 3:1-Sieg im Pokalendspiel gegen Rot-Weiß-Essen für viele eine Routinesache: „Die hätten sich doch bis auf die Knochen blamiert“, kommentierte ein Werder-Fan eine mögliche Niederlage gegen die Fußballzwerge und Zweitliga-Absteiger Essen. Auch der Schlachtgesang „Wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister“ wurde nur im ersten Teil aus voller Kehle gesungen – der zweite Teil wurde angesichts des achten Tabellenplatzes von Werder Bremen nach Ende der Bundesligasaison dezent weggenuschelt.

„Prima Fans“ seien sie, wurde den tapfer Ausharrenden immer wieder vom Balkon versichert. Jetzt könne es wirklich nur noch eine Viertelstunde dauern. Endlich waren sie dann da, stemmten den Pokal in die Höhe und bedankten sich bei den treuen Fans für die Unterstützung in Berlin und in Bremen. „Wir haben glücklich, aber letztlich doch verdient gewonnen“, meinte Trainer Otto Rehhagel. Einen begeisterten Abschied bereiteten die Fans dem Norweger Rune Bratseth, der nach dieser Saison in seine Heimat zurückkehrt. Der Spieler bedankte sich, von „Rune, Rune“-Rufen unterbrochen, für die Sympathien im Publikum.

Erfolgreich waren sie dann ja doch noch, meinte der Fan, der sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielt, einen Bierbecher balancierte und „Wir haben gewonnen, alles andere ist egal“ lallte. bpo

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