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„Deutsche“ und „vaterlandslose Gesellen“

■ Beinahe hätten Antifas eine Veranstaltung mit Wolfgang Templin verhindert und sich selbst eines Lehrstücks in Sachen Dialektik und „nationaler Überzeugungskraft“ beraubt

Sind Linke vaterlandslose Gesellen? Seit Freitag abend wissen wir: Sie sind es! Allein deshalb schon, weil jene, die „den Begriff Nation nicht den Rechten überlassen wollen“, andererseits auch den „Linken“ das „Linkssein“ anheimstellen. So blieb bei einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen des „Festivals des politischen Lieds“ in der Prenzelberger Kulturbrauerei zu diskutieren eigentlich nur noch übrig, wes Gesell nun das Vaterland sei. Bevor es dazu kam, galt es freilich, das Podium hinsichtlich seiner „political correctness“ zu gaucken. Und siehe da: Die Kämpen wider die vaterlandslosen Gesellen waren (bis auf eine Ausnahme) unter sich. Wolfgang Templin, Ex-DDR-Bürgerrechtler und seit seines Interview-Pakts mit der rechtsradikalen Jungen Freiheit zum selbsternannten Lückenfüllerbüßer in Sachen Demokratie und Nation avanciert, und Herbert Ammon, FU-Professor und ständiger Autor der Jungen Freiheit. Hinzu gesellte sich als „Humanist“ noch der Pankower Schüler Benjamin Pohl und last but not least Micha Nelken, wie Templin gelernter Philosoph, aber noch immer mit allen linken Wassern gewaschen. Dieser diskutierenden Ungleichheit und dem ersten dialektischen Gesetz des Umschlags der Quantität in Qualität eingedenk, forderte eine Gruppe von Antifas gleich zu Beginn der Veranstaltung den Schluß der Debatte. „Auf einer linken Veranstaltung“, echauffierte man sich, „dürfen Nazis kein Podium bekommen“. Daß jedoch eine gewisse Quantität von linken Tabubrechern noch lange keinen Nazi macht, entging den autonomen Dialektikern genauso wie die Tatsache, daß die Qualität des Tabubruchs die Konsequenz einer solchen Anhäufung sein muß.

Was also ist die Nation und was ihre Negation? Templin: Keineswegs fühle er sich als Deutscher, das sei mit einer Polin als Mutter und einem Russen als Vater auch schlecht möglich, wohl aber gehe es ihm darum, den Begriff Nation als einen der Vernunft in die Debatte um die internationale Stellung des vereinten Deutschlands zu werfen. Für ihn sei dieser Begriff auch Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zweier Diktaturen und der Notwendigkeit, die nationale Frage auch jenseits der Rechten zu besetzen. Während der Pankower Schüler zustimmend nickte und darauf hinwies, daß der Bürger auf der Straße sich eben nicht schämen wolle, Deutscher zu sein, und Herbert Ammon in wirrer Rede einen Wochenendtrip in die europäische Geistesgeschichte unternahm, bewies indes Micha Nelken linkes Standing. Keiner von denen, die das Wort Nation ständig im Munde führten, beklagte er, könne ihm sagen, was denn eigentlich nun damit Gutes gemeint sein könne. Die Vergangenheit nämlich habe gezeigt, daß dieser Begriff in Deutschland zu keiner Zeit einen Beitrag zu einer demokratischen und emanzipatorischen Politik habe leisten können, sondern immer ein Kampfbegriff der Rechten gewesen sei. Außerdem suggeriere Nation eine Identität der Gemeinsamkeit, die gleichsam in Abrede stelle, daß es soziale und politische Differenzen gebe. Nelken bekannte sich zum Mut zur Lücke und forderte, statt des „per se undemokratischen Begriffs der Nation“ auch weiterhin den der Gesellschaft zu verwenden.

Ein kluger Schachzug, war doch auch die Gesellschaft im Saal alles andere als „Deutschland, einig Publikum“. Während ein Zuhörer von Templin verlangte, ihm endlich zu erklären, warum er sich als Deutscher fühlen solle, und nicht immer nur zu hinterfragen, warum man sich nicht als Deutscher fühlt, bekannte sich ein PDS-Mitglied nicht nur „gegen rechts“, sondern auch zu „Deutschland als Vaterland“. In solcherlei Gesellschaft wiederum konnte Templin keine Heimat finden. „Linke an der Macht machen mir nicht weniger Angst als Rechte“, erregte er sich und fand, „daß 30 Prozent PDS- Wähler in Ostberlin eine Gefahr für die Demokratie sind“.

Da waren sie also wieder, die Geister der Vergangenheit. Daß es gerade Templin war, der in jüngster Zeit zu überlegen gab, daß die Ausblendung der nationalen Frage immer auch mit dem geringen Vertrauen in die Deutschen zu tun habe, etwas anderes zustande zu bringen als Diktaturen, blieb am Freitag unerwähnt. Statt dessen blieb der Debatte zur Lage der Nation einzig ihre neueste Pointe: die Gnade der frühen Geburt. Wie schön es doch wäre, noch einmal in den Vormärz geboren zu werden oder als „enfant de la patrie“ für die Einheit von Nation und Menschenrechten einzutreten. Und wie schade, daß uns gerade diese Nation das Nationale nachgerade vergällt hat. Uwe Rada

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