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16jähriger Kiffer zu Strafarbeit verurteilt

■ Beschluß des Verfassungsgerichts zum Haschverbot bei Berliner Justiz unbekannt

Vor zweieinhalb Wochen hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) bekanntgegeben, daß Erwerb und Besitz kleiner Haschischmengen nicht mehr bestraft werden dürfen – in Berlin hatte dies bislang jedoch keine Folgen. Schlimmer noch: Die für Drogendelikte zuständigen Richter und Staatsanwälte kennen den 70seitigen Beschluß der Karlsruher Richter bis heute noch nicht einmal.

Schuld ist die Senatsjustizverwaltung, die den Abteilungsleitern der Staatsanwaltschaft und den Richtern wichtige höchstrichterliche Entscheidungen zugänglich machen muß. „Der Beschluß liegt hier erst seit kurzer Zeit vor, die Präsidien werden demnächst beschickt“, versuchte Justizsprecher Frank Thiel gegenüber der taz das Versäumnis zu entschuldigen. Mit „kurzer Zeit“ meine er „weniger als eine Woche“, so Thiel. Die Pressestelle des BVG in Karlsruhe teilte dagegen mit, der Beschluß sei bereits vor knapp zwei Wochen an die Landesjustizministerien weitergeleitet worden.

Derweil gehen die Haschischprozesse im Kriminalgericht Moabit fast so weiter, als wäre nichts geschehen. Vergangenen Freitag standen drei Jugendliche nacheinander wegen Kleinstmengen von zwei, drei und 27 Gramm Shit vor Gericht. Statt die Verfahren mit Hinweis auf den BVG-Beschluß im Vorfeld einzustellen, ließ Jugendrichter Schultze zwei der Angeklagten vor Gericht antanzen, nur um ihnen dort zu sagen: Er vertage den Prozeß, bis er den wörtlichen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis bekommen habe.

Den dritten Jugendlichen verurteilte Schultze zu 60 Stunden Freizeitarbeit. Der 16jährige hatte an einen gleichaltrigen Kumpel zwei Gramm Haschisch verkauft, der das Dope mit zehn- und elfjährigen Kids geraucht hatte. Nachdem ihnen schlecht geworden war, hatten die Kids die beiden Großen verpetzt. Auf die Strafanzeige der Eltern hin waren acht Beamte des Rauschgiftdezernats zu einer Hausdurchsuchung bei dem bei seiner Mutter lebenden 16jährigen eingefallen und hatten wie bei einer Großrazzia die Wohnung auf den Kopf gestellt. Gefunden worden war jedoch nichts. „Sie haben sich benommen, als würde mein Sohn sein Geld mit so was verdienen, dabei hat er das Zeug nur einmal an seinen Freund verkauft“, empörte sich die Mutter gegenüber der taz über das Vorgehen.

Bei dem polizeilichen Verhör hatte der 16jährige damals freiwillig zugegeben, zwei Jahre lang ein bis drei Gramm Haschisch pro Woche geraucht zu haben. So als existiere kein BVG-Beschluß, ging Richter Schultze mit seinem Urteil in die Vollen und begründete dies damit, daß der 16jährige bereits wegen versuchten Diebstahls von zwei Trainingsanzügen vorbestraft sei. Der Mutter gab Schultze mit auf den Weg, sie solle ja dafür sorgen, daß ihr Sohn die Freizeitarbeiten auch ableiste: „Sonst kommt er ins Jugendgefängnis.“ Plutonia Plarre

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