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Giocoso Tangissimo im Crossover

■ Ein Bremer Quartett entwickelte in Japan Survival-Power mit Barock-Jazz-Klassik-Tango/ Morgen im Kino 46

Scharenweise sind sie damals an die deutschen Barock-Residenzen gereist. Nach Bückeburg, Darmstadt, Schwerin und viele mehr. Musiker aus Böhmen, italienische Sängerinnen und Komponisten, die französischen Ballettmeister nicht zu vergessen. Kein Potentat, der nicht seine eigene Hofkapelle haben wollte. Heute pladdert der Regen durch das Dach des Bückeburger Schlosses Nummer eins. Die europäischen Musiker ziehts unterdessen nach Bückeburg zwei.

Die Imitation ist nicht nur regenfest, sondern auch erdbebensicher errichtet worden. Das ist in Hokkaido sinnvoll und daher üblich. In der japanischen Stadt drängt sich die deutsche Historie. Links vom Barockschloß steht der Bremer Roland, in der Nähe das Stadttor von Rotenburg ob der Tauber, das Hanauer Rathaus, die Bremer Stadtmusikanten, die Sögeschweine: „Europa am Wochenende“, Kurzurlaub für streßgeplagte JapanerInnen.

Kniehosen, Schnallenschuhe, farbenprächtige Wämser. Vier Männer musizieren in barocker Tracht. Flöte, Violine, Cello, Erzlaute. Händel, Vivaldi, Henry Mancini, Astor Piazzolla. Mancini? Piazzolla? Im Barockschloß? Der Reihe nach.

„Dann kam der Anruf: Ihr fliegt nach Japan“, erzählt Klaus Fischer. Der Flötist aus Bremen war der Verbindungsmann zwischen einem hansestädtischen Duo und einem Trio. Als neugebildetes Quartett stiegen die Musiker Fischer, Constantin Dorsch, Gero John und Jan Grüter, alle früher oder noch HfK Bremen, kurzerhand in den Flieger Richtung Hokkaido. Barocknoten und nachgeschneiderte Originalkostüme im Gepäck, ein Engagement als Barockschloß-Kapelle in Hockaido vor Augen.

Dauer und Repertoire des Aufenthaltes „wucherten in ungeahnte Längen und Breiten“, so Fischer. Stichwort Länge: Zweimal war das Quartetto Giocoso in Japan, vier Monate insgesamt. Also vier Musiker 16 Wochen Zimmer an Zimmer, nur durch dünne japanische Wände voneinander getrennt - „da kriegst Du alles mit“. Viermal täglich je eine halbe Stunde Auftritt, dazwischen Proben. Das Ergebnis der so entwickelten „Japan-Survival-Power“ ist jetzt ohrenfällig geworden, als CD: Quartetto Giocoso, Punkt 12.

Doch wer glaubt, im dichtbepflanzten Garten der Barockmusik-Ensembles wüchse mit Quartetto Giocoso ein weiteres Blümelein heran, der irrt. Zwar hatten und haben die Musiker von Marin Marais bis Vivaldi einiges aus alten Tagen in Fluggepäck und Repertoire. Aber: Stichwort Breite. Vorsichtig, vorsichtig hätte das japanische Publikum anfragen lassen, ob denn die Gruppe außer Barock vielleicht noch etwas anderes spielen könne. Die Bremer probierten es mit Klassikjazz. „Das kam gut an“, kommentiert Fischer. Daraufhin spielte das Quartett als Zugabe einen Tango. Die Gattung wurde fortan ins Programm übernommen. Beim zweiten Japanbesuch würzte etwas Jazz das musikalische Rezept. Und dann begannen die vier, „verrückte Arrangements zu schreiben.“ Kurz und knapp und augenzwinkernd im Crossover heißt das selbstgewählte Etikett nun: postmodernes Barock-Tango-Jazz-Klassik-Entertainment.

Spezialisierung ist angesagt im Musikbetrieb. Renaissance, Barock, zeitgenössische Moderne. „Wir sind selbst die Nische“, hält Fischer die Unverwechselbarkeit seines Ensembles dagegen. Da wäre einmal der eigentümliche Quartettklang, der sich aus der Besetzung ergibt. Arrangements klassischer Musik beispielsweise, zunächst auf ZuhörerInnenwunsch gespielt, sind für die Musiker inzwischen zu Instrumentationsaufgaben geworden. „Wir gewinnen so interessante, verrückte, überraschende Klangfarben“. Wem das zu verspielt klingt, für den hat der Flötist auch Theorie parat: „Jazz, Tango und Barockmusik sind sich sehr ähnlich. Die Spannungsbögen sind kurz und die Musik hat immer etwas rhetorisches.“

Während die Ex-Barockschloß-Kapelle, geographisch von der Reise zurückgekehrt, musikalisch das gemeinsame Abenteuer fortsetzt, regnet es in Original-Bückeburg immer noch durchs Dach. Im fernen Osten wird zur gleichen Zeit das Spiel mit Schein und Sein munter weiter betrieben. Falsche Schlösser, echte Musiker, kopierte Barockkostüme, originale Jazzrhythmen. Und zahlreiche europäische MusikerInnen, die ihr Glück nun an den Residenz-Imitationen Japans suchen. Monika Willer

Quartetto Giocoso ist am 18. 5., 20.30 Uhr, im Kino 46, Waller Heerstr. 46 zu hören.

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