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Reggae: Herzschlag des Volkes

■ Die jamaikanische Frauentheatergruppe Sistren kommt mit ihrem neuen Stück "Kulshafushan" nach zwei Jahren wieder ins Haus der Kulturen der Welt

„Wir zeigen die Probleme in der Männergesellschaft auf und suchen mit den Männern gemeinsam nach Lösungen“, erläuterte Bev Hanson, Gründungsmitglied der Frauentheatergruppe.

Dabei verlieren sie nie die besondere Situation der afrokaribischen Frau aus den Augen. „Diesmal haben wir einen weiblichen Diskjockey zur Hauptfigur erkoren, weil immer mehr Frauen über die Musik gegen Sexismus protestieren.“

Das publikumswirksame Stück „Kulshafushan“ befaßt sich in erster Linie mit dem Generationsproblem, das in Jamaika unter anderem durch Auswanderung einzelner Familienmitglieder nach England, Kanada oder in die USA geprägt ist: Viele Familien sind auseinandergerissen, der Einfluß der nordamerikanischen Kultur führt bei der älteren Generation zu großer Konfusion. Man versucht zu kitten, was auseinanderzufallen droht. Die beiden Großmütter Ma Dell (Lilian Foster) und Ms. Towsa (Beckie Knowles) leben Zaun an Zaun. Enkelin Josie steht zwischen den Fronten der beiden eigenwilligen, sich ständig streitenden alten Damen: Die eine verkörpert die alt überlieferte Denkweise, die andere setzt auf die modernere Lebensart. Entnervt von den Auseinandersetzungen mit Ma Dell packt sie ihre Sachen, um sich mit ihrem Freund Junio Ranks (Maxie Osbourne) der Musik zu widmen. Indes gerät sie in die Mühle des internationalen Musikgeschäfts, schafft es aber, sich in ihren Texten gegen sexuelle Unterdrückung und gesellschaftliche Rückständigkeit zu behaupten. Dabei verliert Josie ihren Freund Junior. Am Ende werden die zerfransten Familienbande wieder zusammengeführt.

Warum Reggae und Dancehall? „Sistren muß am Puls der Zeit bleiben“, erklärte Bev Hanson. Die Gruppe bedient sich in ihren Stücken der aus Afrika überlieferten Tradition des Trommelns, Tanzes und Geschichtenerzählens. „Mit dem Reggae wählten wir ein Medium, das bei uns generationenübergreifend alle hören, ob mit 25 oder 65 Jahren.“ Damit sichert sich die Gruppe mit ihrem Stück eine breite Resonanz in der jamaikanischen Bevölkerung. „Reggae ist der Herzschlag des Volkes, er hat das jamaikanische Volk bei der Suche nach seiner Identität entscheidend beeinflußt.“ Für die Entwicklung der Inhalte ihrer Stücke greifen die Theaterfrauen auf eigene Recherchen, Zeugnisberichte (die sog. testimonies) und insbesondere auf ihre eigenen Biographien zurück. Denn bevor die Frauen 1977 eine Theatergruppe gründeten, fegten sie im Rahmen eines ABM- Programms die Straßen Kingstons. Unter Anleitung einer ausgebildeten Dramaturgin machten sie ihre bedrückende Arbeits- und Lebenssituation dann stellvertretend für die Mehrheit der Frauen mit kreativen Mitteln öffentlich. Mit Workshops versuchten sie schwarzen Frauen ihre Situation bewußt zu machen und entwickeln, gemeinsam mit ihnen, Lösungen zur Bewältigung ihrer oftmals fast ausweglosen Lebenslagen. Auch in der Karibik nimmt das Sistrenkollektiv mittlerweile eine wichtige Stelle ein.

Ihre Sprache, das Patwa, stellte auf ihren Tourneen in Kanada, den USA, Großbritannien, Holland und Deutschland kein Hindernis dar. Die Gruppe überzeugt ausdrucksstark durch Schauspiel, Tanz und Musik. Besonders glänzen die Schauspielerinnen in der Darstellung der männlichen Rollen, was zumal beim männlichen Publikum in Jamaika oft genug großes Entsetzen auslöste. Elke Krüger

Gespielt wird noch heute, 20 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten.

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