■ Mit dem Tschernobyl-Roulette auf du und du: Milliarden-Poker
Berlin (taz) – Die EU-Kommission will auch mit deutschen Steuergeldern in der Ukraine zwei Atommeiler fertigbauen lassen, wenn anschließend die beiden noch laufenden RBMK- Reaktoren in Tschernobyl abgeschaltet werden. Ihr Argument: Die Ukraine habe keine Devisen, um in Rußland Öl oder Gas zu kaufen. Sie setze daher weiter auf die Atomkraft, trotz der drohenden Nuklearkatastrophe in Tschernobyl.
Für die kommenden Jahre will die Kommission die Sicherheit der ukrainischen Atomkraftwerke mit provisorischen Maßnahmen erhöhen. Auch dafür könnten Gelder der Europäischen Union bereitgestellt werden. Schließlich soll der Sarkophag um den 1986 explodierten Meiler Nummer vier in Tschernobyl mit westlichem Geld von französischen Firmen saniert und das dortige Personal umgeschult werden. Frankreichs Präsident François Mitterrand setzt sich besonders für dieses Atomprogramm ein.
Atom-Ecus müssen nach den Plänen der Kommission aber nicht nur die Europäer spenden, auch von anderen Industriestaaten wird Hilfe erwartet: „Ein umfassendes Nuklear-Paket soll auf dem G-7-Treffen [im Juli in Neapel, d. Red.] festgezurrt werden“, kündigte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Ursula Seiler-Albring, in Brüssel an. Die Ukraine verlangt für die Neubauhilfen und provisorischen Maßnahmen inzwischen sechs bis acht Milliarden Dollar.
Gegen das Projekt spricht jede Empirie und der wirtschaftliche Sachverstand. Zum einen hat der ukrainische Vizeministerpräsident Waleri Schmarow noch vor einigen Wochen bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien erklärt, daß seine Regierung die Meiler von Tschernobyl weiterbetreiben werde, auch wenn neue AKW in der Ukraine ans Netz gehen.
Die Ukrainer pokern seit längerem um die Zukunft des AKW. Auch die Abschaltung von Tschernobyl, das sieben Prozent des Stroms und ein Prozent der Energie des Landes erzeugt, hatte das Parlament in Kiew schon einmal beschlossen und diesen Beschluß dann wieder aufgehoben.
Zum zweiten haben sowohl die Weltbank als auch das Darmstädter Öko-Institut vorgerechnet, daß der Ersatz Tschernobyls durch Energiesparmaßnahmen wesentlich billiger wäre als die Nachrüstung oder gar der Neubau von Atommeilern. Die Ukraine verbrauchte 1993 schon reichlich 20 Prozent weniger Strom als 1990. Technische Probleme, sofort auf den Strom aus Tschernobyl zu verzichten, gebe es keine. Was fehle, sei der entsprechende Wille in der Ukraine und die westliche Hilfe zum Energiesparen statt für neue Meiler. ten
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