Keine Strafverfolgung mit System

In Magdeburg begingen Skinheads schon Ende 1991 lebensgefährliche Überfälle / Obwohl die Täter bekannt sind, ist es bis heute zu keiner Gerichtsverhandlung gekommen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – In Magdeburg hat das Versagen von Polizei und Justiz geradezu System. Schon 1991 verübte eine Magdeburger Gruppe von Skinheads eine Serie schwerster Straftaten, ohne daß dies bis heute zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt hat. Und das, obwohl die Beschuldigten ihre Taten weitgehend gestanden haben.

Vier der Staatsanwaltschaft bekannte Jugendliche überfielen am 1. September 1991 zusammen mit 15 bis 20 weiteren Skinheads nachts gegen zwei Uhr auf einem Parkplatz an der Bundesstraße 189 zwischen Barleben und Wolmirstedt vier türkische Blumenhändler. Die Händler, die in ihren Kleintransportern übernachten wollten, wurden aus ihren Fahrzeugen gezerrt, es wurde auf sie eingeschlagen – einer der Überfallenen, so vermerkt es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift vom Oktober letzten Jahres, wurde „im weiteren Verlauf des Angriffs offensichtlich mit einem Leuchtgeschoß aus einer Schreckschußwaffe in Brand geschossen“. Das Opfer Hassan C. erlitt dabei Verbrennungen dritten Grades, eine Gehirnverletzung, er schwebte in akuter Lebensgefahr. Drei der Überfallenen gelang es, in ihren Autos zu fliehen, sie wurden dann von den Skinheads mit wenigstens drei Fahrzeugen verfolgt. Beim Versuch, die Flüchtenden zu stoppen, provozierten die Glatzen einen Auffahrunfall.

Vier Wochen zuvor hatte die Gruppe zusammen mit 30 bis 40 weiteren Skins in Klein Ammensleben einen Wagen mit Punks überfallen. Sie stoppten am 4. August gegen 3.30 Uhr am Ortsrand einen Trabant, mit Baseballschlägern zerschlugen sie die Scheiben des Fahrzeugs, sie prügelten auf die drei Punks im Wagen ein, und anschließend stürzten sie den Wagen samt Insassen auf das Verdeck. Sie zerstörten den PKW und schossen ihn mit einer Leuchtpistole in Brand. Einer der Punks wurde bei dem Überfall lebensgefährlich verletzt. Er war bereits „klinisch tot“, als er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.

Die vier Jugendlichen aus Magdeburg, damals im Alter zwischen 18 und 20 Jahren, überfielen anschließend im Kreise ihrer Skinheadfreunde am 25. August gegen Mitternacht in Erxleben eine Gaststätte. Sie griffen dort eine Discoveranstaltung von Punks an. Mit Baseballschlägern und Zaunlatten schlugen sie auf die Besucher ein, mehrere Personen wurden verletzt.

Nicht einmal eine Woche später waren drei der vier Jugendlichen wiederum dabei, als eine Gruppe von rund 20 Skins am 31. August in den frühen Morgenstunden die Gaststätte „Make up“ am Jersleber See heimsuchten, dort Scheiben und Inventar zerstörten. Sie klauten in der Kneipe 40 bis 50 Schnapsflaschen, auf einen Wachmann, der dazukam, schlugen sie in einer Weise ein, daß dieser anschließend eine Woche stationär behandelt werden mußte.

Vergleichsweise harmlos nimmt sich aus, daß zwei der Jugendlichen in der Nacht darauf zusammen mit acht weiteren bisher unbekannten Gesinnungsgenossen an einem Überfall auf einen Sexshop in Wolmirstedt beteiligt waren und dort mit ihren Knüppeln die Leuchtreklame zertrümmerten.

Obwohl die Täter seit September 1991 den Ermittlern bekannt sind, sie weitgehend auch geständig waren, ist keiner dieser Vorfälle bisher vor Gericht verhandelt worden. Die Magdeburger Staatsanwaltschaft verfaßte zwar im Oktober letzten Jahres eine Anklageschrift. Vorgeworfen wird den Angeschuldigten darin unter anderem, ihre Opfer „durch Gewalttätigkeiten in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung gebracht zu haben“. Zweieinhalb Jahre nach den Überfällen ist ein Gerichtstermin vor dem Magdeburger Jugendschöffengericht aber nicht einmal in Sicht. Daß der jetzt laut werdende Ruf nach Strafrechtsverschärfungen ins Leere läuft, weil eine Strafverfolgung überhaupt erst einmal konsequent betrieben werden müßte, zeigte sich in Magdeburg auch ein halbes Jahre später.

Als am 9. Mai 1992 rund 60 Skinheads auf den „Elbterrassen“ eine Gruppe von Punks überfielen und dabei den 23jährigen Torsten Lamprecht zu Tode prügelten, versäumte die Polizei vor Ort nicht nur, die Gruppe der Gewalttäter nach der Prügelei zu verfolgen. Sie waren nicht einmal in der Lage, die Kennzeichen der Autos aufzuschreiben, in denen die Skins damals zurück zu ihrer Stammkneipe zu einer Siegesfeier abrückten.

Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der im anschließenden „Elbterrassen-Prozeß“ die Nebenklage vertrat, ist überzeugt, daß die Untätigkeit der Strafverfolger Ende 1991 mit dazu beigetragen hat, einen Vorfall wie den an den „Elbterrassen“ erst zu ermöglichen. Massivste Straftaten, kritisiert er, werden in Sachsen- Anhalt seit vier Jahren weder vollständig ermittelt noch verfolgt.