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Millionen zum Fenster hinausgeschaufelt

■ Landesrechnungshof legt seinen Jahresbericht vor / Verwaltung verpulverte 90 Millionen Mark

Der Präsident des Landesrechnungshofes, Horst Grysczyk, kam gestern beim Durchblättern des Jahresberichts 1994 ins Grübeln. Wenn man sich die alljährlich wiederkehrende Bilanz seiner Behörde so ansehe, könne man sich die Frage stellen, ob sich die Arbeit „überhaupt lohnt“. Denn trotz beständiger Mahnungen zur Sparsamkeit pflegen manche Verwaltungen weiterhin einen großzügigen Umgang mit Steuermitteln. Den kurzen Augenblick der Selbstzweifel wischte Grysczyk schnell wieder beiseite: „Ich fürchte nur, wenn wir nicht wären, wäre alles noch schlimmer.“ In der Tat mußte die 280 Mitarbeiter zählende Behörde wiederum die Nachlässigkeit der öffentlichen Verwaltungen anprangern. Nach „zurückhaltenden Schätzungen“, so Grysczyk, gingen so allein im vergangenen Jahr 90 Millionen Mark dem Land verloren.

An pikanten Einzelfällen mangelt es nicht. Allen voran die Lehrer machten dem Vorurteil, sich fintenreich auf Kosten des Steuerzahlers auszuruhen, alle Ehre: Einer ihrer Kollegen bezieht seit fast zehn Jahren weiterhin Bezüge, obwohl er nicht mehr zum Dienst erscheint. Zwar wurde seine privatärztliche Krankschreibung mittlerweile durch ein amtliches Gutachten revidiert. Doch der zuständige Bezirk Neukölln forderte den Beamten weder auf, den Unterricht wieder aufzunehmen, noch wurde die Zahlung der Bezüge eingestellt. Schaden: 212.000 Mark. Auch die Politik kennt wenig Hemmungen: Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Gottfried Mucha (Bündnis 90/Die Grünen) fand keinen Geschmack an der erst kurz zuvor eingerichteten Innenausstattung seines Vorgängers und ließ im März 1993 sein Amtszimmer erneut umbauen. Kosten: 21.000 Mark. Daneben monierte der Rechnungshof die großzügige Vergabe von Gutachten durch einzelne Verwaltungen. Als „neues Phänomen“ wertete Grysczyk dabei die „Gutachten im eigenen Interesse“. Beispielhaft steht hierfür ein Bezirksamtsmitglied in Hohenschönhausen. Dieser ließ 1990 durch ein Anwaltsbüro prüfen, ob die Gleichstellung der östlichen mit den westlichen Stadtratsbezügen erfolgreich vor Gericht durchgefochten werden könnte.

Abgesehen von den schillernden Einzelfällen, mit denen der Landesrechnungshof zuhauf aufwarten konnte, mahnte Grysczyk wie auch im letzten Mai die prekäre Haushaltslage des Landes an. Die Verwaltungen müßten so sparsam wie möglich mit den Geldern umgehen, so sein Wunsch. Angesichts der anstehenden Debatte um den Doppelhaushalt 1995/96 zeichnete er ein düsteres Szenario: Die Finanzlage sei „bedrückend“. Die Schulden stiegen von rund 16,9 Milliarden 1989 auf 51,2 Milliarden in 1997 – im Vorjahr betrugen sie bereits 31,6 Milliarden Mark. Obwohl der Anteil der Steuern an den Gesamtausgaben vor fünf Jahren von damals 24 Prozent auf 45 Prozent 1997 wachsen wird, reicht dies bei weitem nicht aus. Ab 1996 werde jede dritte Steuermark für Zinszahlungen einschließlich der Schuldendiensthilfen abfließen, so Grysczyk. In Zukunft müßte sowohl bei den konsumtiven Ausgaben als auch beim Personal gespart werden. Bei der Überprüfung der Steuerrückstände ortete der Landesrechnungshof ebenfalls erhebliche Differenzen. Nach Angaben der Oberfinanzdirekton zählten die Gesamtrückstände 1992 rund zwei Milliarden Mark. Zusammen mit den von der Finanzverwaltung nicht aufgelisteten niedergeschlagenen Beträgen, die laut Grysczyk keineswegs zum Erlöschen der Steuerschuld führten, lag die Gesamtsumme jedoch bei 3,8 Milliarden Mark. An den Finanzsenator appellierte er, künftig den Parlamentariern jährlich eine Gesamt- Schuldenbilanz vorzulegen.

Den Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses rief er auf, es nach der Prüfung des Berichts nicht bei guten Appellen zu belassen. In schweren Fällen sollte auch vor Kürzungen bis zu einer halben Million Mark nicht zurückgeschreckt werden.

Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) nahm die gestrigen Aufforderungen zum eisernen Sparen dankbar auf. Sie seien, so verkündete er gestern, eine „gute Grundlage“ für die anstehenden Beratungen über den Doppelhaushalt 1995/96. Severin Weiland

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