■ Cannescannes: Blancs trauriges Ende
Michel Blancs „La grosse fatigue“ ist sicher einer der komischsten französischen Filme seit „Der Weihnachtsmann ist ein Dreckskerl“. Aber wer kennt in Deutschland schon „Der Weihnachtsmann ist ein Dreckskerl“, dieses Festival krasser, sexuell und religiös gefärbter Witze, in dem Thierry Lhermitte einen katholischen Telefonseelsorger spielt?
Vielleicht ist dieser Humor nicht exportabel. Er verlangt nämlich einen Sinn für tief empfundene, kompromißlos ausgelotete Vulgarität, den es in Deutschland so nicht gibt – Deutschland ist einfach nicht zivilisiert genug.
Es fehlt die Kontrastfolie des höfisch-starren Regelwerks, des nie formulierten, immer vorausgesetzten comme il faut, das französische Komiker mit einem Fußtritt zum Einsturz bringen wie eine liebevoll zusammengeklebte Modellarchitektur.
Eine Szene wie der Busenwettbewerb in „La grosse fatigue“, in dem Michel Blanc als Preisrichter auftritt, wäre selbst in einem Otto-Film undenkbar. Deutsche Vulgarität ist anders, ohne Gegenbild, eher musikalisch sozusagen. Sie feiert sich im Rumtata der Polonäse von Blankenese als das allgemein Verbindliche. In „La grosse fatigue“ spielt Michel Blanc Michel Blanc und Carole Bouquet, die neben Catherine Deneuve königinnenhafteste der französischen Schauspielerinnen, Carole Bouquet. Insider-Jokes also, ein Film über das Leben der Stars, konstruiert als dialektische Volte.
Denn Michel Blanc spielt nicht nur sich selbst, sondern auch einen gewissen Patrick Olivier, der ihm so sehr gleicht, daß er sich seinerseits als Michel Blanc – nicht etwa als Imitator – durchs Leben schlägt. Der Film beginnt beim Filmfestival von Cannes. Olivier verlangt eine Suite im Carlton-Hotel – aber Blanc hatte sich gar nicht angesagt. Also weist man ihm die Suite von Gérard Depardieu an, der für drei Tage abwesend ist. „Aber daß man die Laken wechselt“, sagt Olivier besorgt, „bei Depardieu ist das ja wohl angebracht.“
Olivier lebt von den Brosamen von Blancs Ruhm. Er macht all das, was Stars tun, wenn sie absteigen, tritt in Tombolas und als Animateur in zweifelhaften Nachtclubs auf. Und er verschafft sich – als Blanc – Zugang zu anderen Stars. Josiane Balasko und Charlotte Gainsbourg sind nicht die einzigen, die er sexuell belästigt. Klar, daß er Blanc damit irgendwann in Schwierigkeiten bringt.
Blanc erleidet eine Identitätskrise: Er kann sich nicht erinnern, Josiane Balasko mißbraucht zu haben – sie tritt ihm trotzdem in die Eier. Klar auch, daß die beiden sich begegnen werden. Da macht Olivier Blanc einen fatalen Vorschlag: Er – Blanc – solle doch in Urlaub fahren, mal so richtig ausspannen, er – Olivier – werde ihn solange vertreten. Als Blanc zurückkommt, hat sich der andere längst in seiner Existenz eingenistet. Niemand, nicht mal seine beste Freundin Carole Bouquet, glaubt Blanc mehr, daß er Blanc sei.
Blanc begeht eine Verzweiflungstat. Blanc kommt ins Gefängnis. Blanc endet traurig: als arbeitsloser Michel-Blanc-Imitator.
In Frankreich wird „La grosse fatigue“ einen Riesenerfolg haben. Aber es ist fraglich, ob er sich exportieren läßt, nicht nur wegen der besagten spezifischen Färbungen des Humors: Blanc, der in Deutschland nur als Monsieur Hire zu einiger Bekanntheit gelangte, ist außerhalb Frankreichs einfach kein Star. Schade eigentlich.
Aus Cannes Thierry Chervel
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