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„Gründe suchen, wie das geschehen konnte“

Klaus Eichner, Ex-MfS-Offizier und heute der Sprecher des „Insiderkomitees“, will die Archive der Gauck-Behörde offen halten / Die Diskussion um die Stasi-Unterlagen darf nicht auf die Opferakten verkürzt werden  ■ Ein Interview von Henryk M.Broder

Klaus Eichner, geb. 1939, wollte eigentlich zur Marine, kam aber gleich nach dem Abitur zum Ministerium für Staatssicherheit. Er besuchte zwei Jahre lang die Offiziersschule und schloß ein Fernstudium an der Humboldt-Universität als Diplom-Jurist ab. Von 1968 an arbeitete er in der „Hauptverwaltung Aufklärung“, wo er Spionageabwehr und Gegenspionage betrieb. Zur Zeit der Wende leitete er die Abteilung IX der HVA, in der Informationen über die Geheimdienste der westlichen Staaten gesammelt und analysiert wurden. 1992 gründete Eichner mit anderen ehemaligen Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit das „Insiderkomitee“.

taz: Herr Eichner, wie fühlen Sie sich als pensionierter Spion?

Klaus Eichner: Mich bewegen sehr zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite habe ich in den letzten vier Jahren viel Zeit und Anlaß gehabt, nachzudenken über Sinn und Unsinn einer geheimdienstlichen Tätigkeit. Auf der anderen Seite war diese Tätigkeit ein Bestandteil, mehr: sie war mein ganzes bewußtes Leben vom 18. Lebensjahr an. Ich kann das nicht einfach beiseite schieben und sagen: Das war's, nun beginnen wir etwas Neues. Zumal ein Versuch, etwas Neues zu beginnen, nach einem Umschulungsstudium „Ökologie/Umweltschutz“ fehlgeschlagen ist, weil diese Tätigkeit im wesentlichen doch öffentlicher Dienst ist und mir dieser Weg aufgrund meiner Vergangenheit verwehrt ist. Also bin ich jetzt arbeitslos und fühle mich nicht sonderlich gut.

Herr Eichner, es war Ihre selbstverständliche Aufgabe, die Bundesrepublik zu destabilisieren, nun machen Sie sich Sorgen um den demokratischen Bestand eben dieser Bundesrepublik. Ist das nicht eine seltsame Wende?

Ihre Auffassung, daß unsere Aufgabe die Destabilisierung des Bundesrepublik war, entspricht nicht dem Inhalt unserer Tätigkeit, im Gegenteil: Die Tätigkeit der Aufklärungen hat insgesamt auch zur Stabilisierung der deutsch- deutschen Beziehungen und der Systeme beigetragen. Sie hat verhindert, daß aus dem Kalten ein Heißer Krieg werden konnte. Unsere Maßnahmen waren in keiner Form auf Destabilisierung gerichtet. Und die als solche bezeichnet wurden, waren objektiv nicht dazu geeignet.

Wenn Sie es geschafft haben, Günter Guillaume in die Nähe von Willy Brandt zu plazieren, so war das eine Maßnahme der Destabilisierung, Sie haben gezeigt, daß die Abwehr der Bundesrepublik nicht funktioniert hat.

In der Spezifik der Auseinandersetzung der Geheimdienste ist es uns gelungen, in wichtigen Bereichen die Tätigkeit dieser Dienste der Bundesrepublik zu paralysieren. Das Ziel dieser Maßnahme war aber nicht die Verunsicherung der Bundesrepublik, sondern die Erhöhung der Sicherheit der DDR. Uns hat vor allem die Spionageabwehr interessiert, die versucht hat, unsere Tätigkeit zu behindern.

Wollen Sie das MfS rehabilitieren?

Ganz gewiß nicht. Die bei uns im Insiderkomitee mitarbeiten gehören bestimmt zu jenen, die wirklich sehr kritisch sich auseinandersetzen – nicht vom ersten Tag an volle Distanz haben und auch nicht in hundertprozentige Distanz gehen zu ihrer früheren Tätigkeit, aber doch nach Argumenten suchen, wie wir aus unserem heutigen Wissensstand unsere eigene Arbeit bewerten können, ohne sie nur zu verteufeln und zu kriminalisieren. Wir suchen nach den Gründen, warum so etwas geschehen konnte. Zum Beispiel, wie konnte es zu einer kritiklosen Übernahme bürgerlicher Methoden der Geheimdienstarbeit durch ein Organ eines sozialistischen Staates kommen? Es geht auch um Traditionslinien, die uns nicht in unserer Erziehung als MfS-Mitarbeiter gelehrt worden sind, ich erinnere nur an die Schauprozesse Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre in den Volksdemokratien...

...solche Exzesse gab es in der DDR nicht. Es gab hier keinen Slansky, keinen Rajk...

...das nicht, aber Paul Merker1 zum Beispiel war in Vorbereitung, da ist nur die biologische Entwicklung durch Stalins Tod dazwischengekommen, im Prinzip war bei uns das gleiche wie in den anderen Volksdemokratien geplant, aber noch nicht passiert. Immerhin, Paul Merker war schon in Untersuchungshaft. Wir müssen uns diesen Sachen stellen, das gehört auch zu unserer Geschichte.

Waren Sie zufrieden, glücklich, enttäuscht über das Ende der DDR? Kam es für Sie überraschend wie für jeden im Westen?

Das Ende der DDR in dieser Form, das hat mich bestürzt. Andererseits: Die Art und Weise, wie Realsozialismus in der DDR gemacht wurde, daß das auf die Dauer keinen Bestand haben konnte, darüber waren wir uns schon längere Zeit klar.

Seit wann?

Das Nachdenken hat bei mir Mitte der 80er Jahre mit Gorbatschow angefangen. Wir waren in weiten Bereichen Anhänger Gorbatschowscher Überlegungen...

...wenn Sie jetzt „wir“ sagen, meinen Sie die besser Informierten innerhalb des MfS?

Ich meine jetzt meinen Umgangskreis in der HVA bis hin zur Leitung unserer Abteilung, wo wir uns öfter über solche Themen verständigt haben. Ich hatte mit der Perestroika viele Bedenken, ob das funktionieren kann, und mit der Glasnost habe ich lange Zeit große Probleme gehabt, weil hier viele meiner über Jahre, Jahrzehnte aufgebauten Bilder auf einmal zerstört wurden. Ich gehörte zum Beispiel zu jenen, die das Sputnik-Verbot2 begrüßt haben, ich gehörte aber auch zu jenen, die Sputnik jahrelang abonniert hatten. Ich war über die Entwicklung in der sowjetischen Presse bestürzt, da wurden Themen diskutiert, die für uns immer Elemente der Feindpropaganda waren, das Hitler-Stalin-Geheimabkommen, die Verbrechen von Katyn. Auf einmal sollte das alles wahr gewesen sein! Da mußten viele gedankliche Barrieren erst mal niedergerissen werden. Das hat bei mir erst Ende 89, Anfang 90 eingesetzt, da hab' ich beispielsweise Wolfgang Leonhard noch einmal gelesen, und dann mit Gewinn, weil ich ihn nicht von Anfang an als Feind oder als ein Sprachrohr des Feindes gesehen habe, sondern als jemand, der über etwas nachdenkt. Da waren auf einmal bestimmte Wälle, Mauern, Barrieren runter, geistige Sperren waren aufgehoben.

Was soll man nun mit dem ganzen MfS-Material machen? Sie kennen die Äußerung von Friedrich Schorlemmer, der zum 1. Januar 1996 ein großes Freudenfeuer mit den MfS-Akten anzünden möchte. Was halten Sie davon?

Ich persönlich und wir als Insiderkomitee, wir wenden uns gegen die Argumente zur Schließung der Akten. Wir sagen: Man soll eine Diskussion führen zum Umgang mit den Akten aller Geheimdienste. Wir möchten, daß man in der Bundesrepublik so etwas schafft wie den Freedom of Information Act in den USA, der einen besseren Zugang des einzelnen Bürgers zu den über seine Person gespeicherten Daten garantiert. Das ist der erste Gedanke. Und der zweite ist, daß wir dafür plädieren, bei der Diskussion realistisch zu bleiben. Viele haben im Blick nur die sogenannten Opferakten und das Monströse, was daraus gemacht wird, mit den angeblich über zweihundert Kilometer Akten, mit den sechs Millionen erfaßten Personen. Wir sagen, daß man das ganz real sehen soll. Der kleinste Teil betrifft die Bearbeitung Andersdenkender, der „feindlich-negativen Personen“. Diese Verkürzung auf Opferakten und damit auch immer wieder das Anheizen von Emotionen ist nicht günstig...

...was ist denn der Rest des Materials?

Durch die breite Streuung der Aufgaben des MfS und eine preußische Sammelwut ohne jede Archivordnung sind die Materialien der Vorgänger des MfS genauso im Archiv geblieben wie alles, was dann seit 1950 vom MfS gesammelt worden ist. Es gab keine Regelung der Aufbewahrungsfristen oder sonst was. Es war eine Anhäufung. Der überwiegende Teil der Akten beschäftigt sich mit ganz loyalen DDR-Bürgern. Da sind zwei Millionen Akten von positiven DDR- Bürgern, das sind die MfS-Kader mit ihren Verwandten, das sind alle diejenigen, die aufgrund der Geheimschutzregelung überprüft wurden, alle Grenzsoldaten, alle Reisekader. Was wurde nicht alles überprüft! Und all die Personen wurden registriert. Es werden auch viele Bürger staunen, wie loyal ihre Position zur DDR vom MfS eingeschätzt wurde. Dann gibt es bei der Personenerfassung etwa 1,5 Millionen, die alle im Zusammenhang mit der Aufklärung und Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechen erfaßt worden sind. Und dann gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Registrierungen von Personendaten von Ausländern, Bürgern der Bundesrepublik, dann gibt es all die, die vom MfS wegen Verdachts einer staatsfeindlichen Schädlingsarbeit in der Wirtschaft bis hin zu der Problematik der Andersdenkenden, des politischen Untergrundes, wie es von uns bezeichnet worden ist, aktenkundig waren.

Was man heute Dissidenten nennt.

Ja. Die Opposition wurde im MfS immer bearbeitet, und diese Bearbeitung hatte auch eine ganz erschreckende Dimension, weil es insbesondere auch Leute aus den eigenen Reihen betraf, von Anfang an auch in der Partei; wenn man sich das mal genau überlegt, das MfS war Schild und Schwert der Partei, Schwert der Partei war eben auch Schwert gegen die Opponenten in den eigenen Reihen und gegen die Opponenten in Staat und Gesellschaft. Und da haben wir auch vieles mitgemacht, was man heute ganz kritisch sehen muß, wobei wir seit Jahren darüber diskutiert haben, warum es die SED nicht schafft, mit einer Opposition zu leben, weil wir die vergebliche Bemühung sahen, die oppositionelle Bewegung mit Hilfe der Staatsgewalt, insbesondere des MfS niederzuhalten. Ich hatte immer das Argument: in die Gethsemanekirche, in die Veranstaltungen, da gehören keine 50 Mann vom MfS zur Überwachung, sondern 50 Agitatoren der SED. Das wäre viel vernünftiger gewesen.

Sie sagten, Sie sind für die Offenlegung aller Akten. Heißt das, daß Sie eine Bedingung einführen wollen: wir reden nur über das MfS, wenn zugleich die Akten vom Bundesamt für Verfassungsschutz auch offengelegt werden?

Es ist auf keinen Fall ein Junktim. Es ist ja nicht so, daß wir es als Verhandlungsgegenstand gegenüber einem Partner einbringen könnten, wir betrachten es als politische Forderung, die sich auch andere politische Kräfte zu eigen machen sollten. Man muß nach anderen Formen der Transparenz solcher Dienste suchen.

Also kein Freudenfeuer à la Schorlemmer?

Nein. Wenn die Akten vernichtet würden, könnte eine Vielzahl von Anschuldigungen, Verleumdungen unbewiesen über uns verbreitet werden, und wir hätten nicht einmal mehr die Chance einer juristisch einwandfreien Widerlegung. Jetzt können uns die Akten noch helfen, die Schweinereien, die bei uns geschehen sind, aufzudecken, all das, was unter Verletzung von Gesetz und Recht der DDR geschehen ist, muß aufgedeckt werden, muß auch schonungslos kritisiert und juristisch verfolgt werden. Aber überall da, wo es um Verleumdung geht, ist es schon oft so gewesen, daß die Unterlagen gesagt haben, daß das anders zu sehen ist. Es gibt genügend Ermittlungsverfahren, die eingestellt werden mußten aufgrund der Unterlagen. Es ist eine gewisse Schutzfunktion damit verbunden.

Was glauben Sie, wie kommt ein Mann wie Schorlemmer, der auf der Gegenseite steht – Sie waren der Schurke im Staatsdienst, er war der Oppositionelle bei der Bürgerbewegung –, wie kommt er dazu, so eine Forderung aufzustellen?

Er hat später erklärt, daß es für ihn eine Metapher war. Es bewegt ihn, daß sich die politische Auseinandersetzung immer wieder so einseitig auf diese Problematik verlagert und daß die Auseinandersetzung mit der MfS-Tätigkeit politisch instrumentalisiert wird.

Wie könnte man jetzt Gerechtigkeit herstellen? Die Vereinigung ist nicht rückgängig zu machen...

...sollte man auch nicht, es war eine ganz groteske historische Situation, diese Teilung.

Obwohl ein Stück Autonomie für die alte DDR innerhalb der Bundesrepublik nicht schlecht wäre.

Ich denke noch heute, daß man die Verhältnisse allmählich hätte anpassen müssen. Wenn für das Saarland fünf bis sechs Jahre vorgesehen waren, was die gleiche Gesellschaftsstruktur hatte, dann hätte man für eine völlig andere Gesellschaftsstruktur ..., das mußte ganz einfach schiefgehen. Jeder, der mir sagt, er habe das nicht kommen sehen, der ist entweder dumm, oder er lügt.

Wie wollen Sie unter den Umständen Gerechtigkeit herstellen?

Ganz gewiß nicht mit juristischen Mitteln. Das halte ich für die schlimmste Fehlentwicklung, daß die bundesdeutsche Justiz versucht, aus ihrem Rechtsverständnis heraus politische Verhaltensweisen nachträglich zu kriminalisieren. Das kann nicht zur Gerechtigkeit führen. Gerechtigkeit hätte zur Voraussetzung, daß die politischen Kräfte in der alten Bundesrepublik bereit gewesen wären, einen dritten Weg zu suchen, zwischen Bundesrepublik und DDR, einen wirklichen Neuanfang zu gestalten für das neue Deutschland. Aber dazu gab es keine Bereitschaft, und deshalb vertrete ich die Position, daß es sich hier bei den Tausenden von Verfahren um Rache oder um Siegerjustiz handelt. Was da unter dem Mantel der Rechtsstaatlichkeit getrieben wird, das ist schlimmer als das, was die Kolonialherren früher mit den Eingeborenen gemacht haben.

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