piwik no script img

Achterbahnfahrt in Hamburgs Zukunft

■ Experten streiten um den richtigen Weg aus der Massenarbeitslosigkeit

Selten waren sich die Analytiker der Hamburger Landesbank, grüne Wirtschaftsexperten, Arbeitsamtsstrategen und Wirtschaftswissenschaftler so einig: Auch bei einem sanften Wirtschaftsaufschwung wird die Arbeitslosenzahl in Hamburg weiter steigen. Schon heute, so die Landesbank, liefern die offiziellen Zahlen ein stark geschöntes Bild: „Immer mehr Arbeitslose lassen sich nicht registrieren.“

Massenarbeitslosigkeit in Boom-Zeiten – ein Alptraum der Arbeitsmarktpolitik ist Wirklichkeit geworden: Die Nachfrage nach Arbeit hat sich ein Stück vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt. Dieser bedrohliche Trend ist inzwischen auch im Senatsgehege registriert worden.

Bürgermeister Voscherau sucht den Ausweg aus der Krise mit der traditionellen Wachstumsstrategie der Wirtschaftswunderjahre: Gewaltige Investitionen in die Infrastruktur sowie die freizügige Vergabe von Grundstücken und Subventionen für Großindustrien sollen Hamburg zum überdurchschnittlichen Wachstum verhelfen, bei dem dann auch ein paar Arbeitsplätze abfallen.

Erhard Rittershaus, Wirtschaftssenator von Gnaden der Statt Partei, sieht die Lage etwas differenzierter: Um dynamische Zukunftsindustrien müsse sich ein Netzwerk kleiner und mittelständischer Innovationsbetriebe legen. Nur so lasse sich der unvermeidliche Strukturwandel für Hamburg erträglich gestalten. Die alten Seehafenindustrien dagegen seien mehr Ballast denn Treibstoff bei der Achterbahnfahrt in Hamburgs Zukunft. Dennoch ist Rittershaus bereit, dreistellige Millionenbeträge für die Verteidigung bedrohter Alt-Arbeitsplätze auszuspucken. Die rot-graue Koalition, so glauben er und Voscherau, könne eine Stillegung von Stahlwerken und Aluhütte nicht verkraften.

Die gehobene Sachbearbeiterebene der Arbeits- und Sozialbehörde schlug derweil unter ihrer neuen Chefin Fischer-Menzel einen etwas anderen Weg ein. Die BeamtInnen formulierten jetzt in einem Antrag an den Europäischen Sozialfonds, den sie um zehn Millionen Mark für gezielte Arbeitsmartktpolitik erleichtern wollen, ein Zukunftsszenario, in dem die Industrie kaum mehr als die Hälfte ihrer heutigen Bedeutung hat. Kleine und mittlere Betriebe des Dienstleistungssektors dagegen würden zum Rückgrat einer neuen und stärker regional orientierten Wirtschaft. Dieser Trend müsse durch gezielte Umschulungsprogramme gefördert werden.

Der renommierte Harburger Stadt- und Regionalökonom Dieter Läpple geht diesen Weg noch ein erhebliches Stück weiter. Er plädiert für eine Umkehrung bisheriger Strategien. Städte und Regionen, die sich gewaltsam für den Weltmarkt fit machen, so doziert er, zerstörten oft die letzten Reste ihrer gewachsenen wirtschaftlichen Grundlagen. Damit vernichteten sie meist mehr, als sie je durch herbeisubventionierte internationale Arbeitsteilung mit Zukunftsprodukten wieder hereinholen könnten. Läpple setzt dem eine „quartier- und milieubezogene Entwicklung von Stadtraum und Ökonomie“ entgegen; Städte und Regionen sollen sich auf ihre vorhandenen Stärken besinnen und diese entwickeln. In einem vom Senat noch unter Verschluß gehaltenen, von der Hamburger Strategenszene freilich längst breit diskutierten Gutachten wendet Läpple diese Einsichten auf Hamburg an: Er warnt vor den überholten Wachstumsträumen eines Henning Voscherau und empfiehlt kleinräumige Wirtschaftsentwicklung, verbunden mit neuen Konzepten der Stadtentwicklung und Sozialpolitik.

Unichef Lüthje (SPD) plagen derweil ganz andere Sorgen: Er kann und will nicht verstehen, daß der Senat gerade jetzt die Axt an den wichtigsten, arbeitsintensivsten und stadtverträglichsten Zukunftsbetrieb Hamburgs legt. Universitätsförderung sei billigste und wirksamste regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Der Ausgang des Ringens zwischen Voscherau, Rittershaus, Fischer-Menzel, Läpple und Lüthje steht nach Auffassung politischer Beobachter schon heute fest: Fischer-Menzel wird ein paar Projekte starten dürfen. Lüthje wird seine Uni scheibchenweise notschlachten müssen, damit Rittershaus das Geld erhält, um Altindustrien gegen den Weltmarkt zu verteidigen. Voscheraus Großprojekte aber werden, da zu einem erheblichen Teil auch von Bundesmitteln abhängig, nicht alle verwirklicht. Fazit der Landesbank-Analytiker: „Per Saldo wird die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen.“ Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen