: Nicht immer reingucken
■ „Das verkleidete Fenster“: Alte Gardinen in neuem Glanz“
Gerafft, gefaltet und drapiert wurde bereits vor 300 Jahren, wenn Menschen sich vor zu viel Licht oder neugierigen Blicken schützen wollten. Mit der weitgehend unerforschten Kulturgeschichte der Gardine beschäftigt sich die Ausstellung „Das verkleidete Fenster“, die am Sonnabend im Museumsdorf Cloppenburg eröffnet wurde.
„Gardine“ war ursprünglich das Wort für die seit dem Mittelalter bekannten Bettvorhänge, hinter denen Ehefrauen ihren Gatten die sprichwörtlichen „Gardinenpredigten“ hielten. Je größer und durchsichtiger die Glasfenster wurden, desto mehr Stoff wurde im Stil des Zeitgeschmacks um und vor die Fenster dekoriert. Was zunächst in den Schlössern Einzug hielt, wurde bald von wohlhabenden Bürgern kopiert. Scherenschnitte vom Anfang des 19. Jahrhunderts belegen, daß die guten Stuben wohlhabender Bauern ebenfalls mit Vorhängen geschmückt waren. In großstädtischen Arbeiterwohnungen wurde die Gardine dagegen erst vor knapp 100 Jahren Bestandteil der Grundausstattung.
Zu „Höhlenbewohnern degradiert“ sah Georg Hirth, Gründer der Zeitschrift „Jugend“ und Namensgeber des Jugendstils, die hinter mächtigen Stores und Übergardinen im ewigen Halbdunkel wohnenden „feinen Großstädter“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg und die ihm folgende Phase der „Neuen Sachlichkeit“ reduzierten die Stoff- und Staubmassen an den Festern.
In der Ausstellung strahlen die Exponate aus den maßgeblichen Stilrichtungen der vergangenen Jahrhunderte in neuem Glanz. Es sind Rekonstruktionen, gewebt und genäht vom Sponsor der Ausstellung, einem großen Gardinenhersteller, der im Landkreis Cloppenburg seinen Firmensitz hat. „Die Kariere eines Vorhanges endet meist als Putzlappen“, begründet der Volkskundler Thomas Schürmann, der die Ausstellung konzipiert hat, das Fehlen von Originalen.
(Die Ausstellung dauert bis 31. Dezember) Karin Güthlein, dpa
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