: Warten auf den wirtschaftlichen Aufschwung
■ Die westlichen Staaten haben den Palästinensern Aufbauhilfe zugesagt
Berlin (taz) – Nach dem Abzug der israelischen Armee steht die PLO nun vor der Herausforderung eines wirtschaftlichen Aufbaus in den Autonomiegebieten. Während der Verhandlungen über das Autonomie-Abkommen hatte die PLO-Führung immer wieder versucht, den zahlreichen Skeptikern unter den Palästinensern das Autonomiemodell unter Verweis auf den kommenden wirtschaftlichen Aufschwung schmackhaft zu machen. Die PLO hat damit Hoffnungen und möglicherweise auch Illusionen geweckt. Ab sofort wird das politische Renommee der Organisation auch damit stehen und fallen, ob sie wenigstens einen Teil ihrer Versprechen einer besseren Zukunft einlösen kann.
Die politischen Voraussetzungen dafür werden in Kürze geschaffen sein. Es ist nur mehr eine Frage weniger Wochen, bis die neue Führungsriege für die palästinensische Autonomiebehörde ihre Ämter in Jericho und im Gaza-Streifen übernehmen wird. Über die Hälfte der Mitglieder des zukünftigen 24köpfigen Verwaltungsrates wurden bereits benannt. Unter Leitung des PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat wird der Rat eine ganze Reihe administrativer und politischer Machtbefugnisse übernehmen; darüber hinaus wird er, wie soeben im palästinensisch-israelischen Wirtschaftsabkommen von Paris ausgehandelt, auch wirtschaftliche Befugnisse haben, die die Bereiche Industrie, Landwirtschaft, Finanzwesen, Steuern, Zoll und Tourismus umfassen.
Zum ersten Mal gibt es nun gesetzliche Rahmenbedingungen für israelisch-arabische Wirtschaftsbeziehungen, sagte der palästinensische Wirtschaftsunterhändler Abu Ala. Sie bestehen zwischen den palästinensischen Autonomiegebieten und Israel sowie auf arabischer und internationaler Ebene.
Bisher galten für die Palästinenser nur die israelischen Besatzungsbestimmungen, die außenwirtschaftliche Beziehungen der besetzten Gebiete schlicht untersagten. Durch das Abkommen, so Abu Ala, komme die israelische Zollmauer ins Wanken. Palästinensische Landwirtschafts- und Industrieprodukte könnten jetzt nach Israel exportiert werden. Israelische Produkte würden zugleich weiterhin in den besetzten Gebieten vermarktet. Das Pariser Wirtschaftsabkommen schafft also zumindest Rahmenbedingungen für eine Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft in den Autonomiegebieten und die Voraussetzungen für den Einsatz internationaler Wirtschaftshilfe.
In einem Länderkurzbericht hatte das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bereits im vergangenen Monat auf die desolate Lage in den besetzten Gebiete hingewiesen. „Die sozioökonomische Situation der israelisch besetzten Gebiete ist durch extreme ökonomische Verzerrungen, große Abhängigkeit von der israelischen Volkswirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit geprägt. Bürokratische Hemmnisse, umfangreiche Handelsrestriktionen, unzureichende Infrastruktur und nicht zuletzt Wassermangel erschweren die wirtschaftliche Entwicklung, hieß es. Zu den Kernproblemen der besetzten Gebiete gehören dem Bericht zufolge unzulängliche Verwaltungsstrukturen, ein uneinheitliches Rechtssystem, ein unzureichendes Finanzsystem. Durch den Vertrag von Kairo ist es grundsätzlich möglich geworden, diese Hindernisse zunächst im Gaza-Streifen und in Jericho größtenteils zu beseitigen.
Auch wenn die Probleme vor allem im Gaza-Streifen zur Zeit kaum zu übersehen sind, stehen die Palästinenser doch nicht ohne alle Möglichkeiten da. Viele palästinensische Unternehmer können sich vor allem auf ihre wirtschaftlichen Erfahrungen in der Golfregion stützen, manche haben es sogar geschafft, unter den äußerst widrigen Bedingungen der israelischen Besatzung einen Betrieb aufzubauen.
Doch eine der Grundbedingungen für einen erfolgreichen Aufbau der Autonomiegebiete ist ein minimaler politischer Konsens unter den Palästinensern, vor allem zwischen PLO und Hamas. Eine Konfrontation zwischen Anhängern und Gegnern des Autonomie-Abkommens würde von vornherein eine Sackgasse für den wirtschaftlichen Aufschwung bedeuten.
Den Bewohnern der autonomen Gebiete wurde umfassende internationale Unterstützung zugesagt. Das Geld dafür liegt schon lange bereit. Die Weltbank hat für die nächsten drei Jahre eine Summe von über 1,2 Milliarden Dollar für das Gesundheitswesen, das Bildungswesen und die Wohnungs- und Bausektoren zur Verfügung gestellt. Dieses Sofortprogramm bildet einen Teil der Ende 1993 von einer Konferenz der Geldgeber zugesagten Hilfen für die autonomen Gebiete in Höhe von mindestens 2,4 Milliarden Dollar. Daran ist die Europäische Union (EU) mit 600 Millionen beteiligt, die USA mit 500 Millionen, Japan mit 200 Millionen und Saudi-Arabien mit 100 Millionen.
Nach den Angaben von BMZ- Ministerialrat Gert-Robert Liptau beträgt der Anteil Bonns an einem Teil der zugesagten EU-Hilfen von 300 Millionen Dollar 28 Prozent. Die bisherigen deutschen Hilfsmaßnahmen für die besetzten Gebiete erreichten laut Angaben des BMZ einen Gesamtumfang von rund 206 Millionen DM bis Ende 1992. Der Anteil der kirchlichen Hilfen betrug etwas über 46 Millionen Mark. Derzeit werden Projekte in der Berufsausbildung, der Abwasserentsorgung und der Wasserversorgung unterstützt.
Diese und ähnliche entwicklungspolitische Projekte mußten bisher unter den restriktiven Bedingungen der Besatzung arbeiten. Politische Gremien, die die Palästinenser vertreten, fehlten ganz. Alles das soll sich nun in Kürze ändern. Die PLO hat in den Autonomiegebieten keine leichte Aufgabe vor sich. Die Palästinenser, vor allem im Gaza-Streifen, wollen jetzt sehr schnell konkrete Maßnahmen sehen, die ihr Elend lindern. Abdul Mottaleb Husseini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen