: Auge im Mund
■ Behinderten-Theater auf Kampnagel
Henk läßt seine Muskeln zucken, Dan balanciert im Rollstuhl, Peer zeigt pantomimisch ,Dünner Bauch, Dicker Bauch', ein zweiter Henk hüpft mit Krücken über einen Stuhl, Dette kann tierisch schielen und Dolly kann ihr Auge in den Mund nehmen.
Bereits zu Beginn des Theaterstückes Pleisterwoede (“Pflasterwut“) werden die ZuschauerInnen mit physischen Besonderheiten und Grenzen konfrontiert. Denn diese Aufführung, die im Rahmen des Kampnagel-Forums Junge Hunde im Mai zu sehen ist, stellt Behinderungen der AkteurInnen offen zur Schau. Die Ästhetik des Körpers wird anders definiert, als man es vorher gewohnt war.
Die aus Amsterdam stammende Schauspielgruppe Suver Nuver versteht es, das heikle Thema der Integration von behinderten Menschen ohne Rücksicht auf bestehende Tabus darzustellen. Drei der Akteure haben das Stück erdacht, und unter der Regie von Moniek Merkx demonstriert das Sextett, wie schwierig, aber auch wie natürlich der Umgang mit behinderten Menschen möglich ist. Handicaps können akzeptiert werden ohne mütterlich bevormundend den Behinderten ihre Selbstbestimmung zu entziehen.
Diese Form von Theater wirkt befremdlich und faszinierend zugleich. Hier und da ein peinlicher Lacher einiger Zuschauer zu einer beklemmenden Szene deutet auf eine gewisse Unsicherheit des Publikums hin. Wie soll man sich auch verhalten, wenn ein Rollstuhlfahrer zeigt, wie selbständig und doch aus alltäglicher Sicht umständlich er seine Aufgaben bewältigt, ohne daß die anderen Schauspieler überhaupt nur Anstalten machen, ihm zu helfen? Hilfsbereitschaft, ja bitte, aber nur wenn sie auch gewollt ist, so könnte der Tenor des Stückes lauten.
Ein wünschenswerte Reaktion auf das Theaterstück ist zugleich ein Zitat desselben: „Ich bin Don, und ich sitze im Rollstuhl.“ „Okay Don!“ Christoph Arndt
Kampnagel, Halle 1, 20 Uhr, bis 21. Mai.
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