"Unter solchen Bedingungen will hier keiner lehren"

■ Die Sparauflagen des Senats sind nicht umsetzbar, weil sie die Ausbildung gefährden, sagen einhellig die Sprecher der Uni-Fachbereiche Von Kaija Kutter

Der Ring christlich-demokratischer Studenten rief für diesen Donnerstag zu einer rührenden Aktion auf: Mit einer Fahrraddemonstration zum Privathaus von Professor Reinhard Bork sollte der Jurist überredet werden, seinen Ruf an die Uni Göttingen abzulehnen. Denn geht er, so fehlt den Studierenden nicht nur ein beliebter Hochschullehrer - vermutlich fällt auch seine Stelle den Sparmaßnahmen zum Opfer. „Es wird nach seinem Fortgang wohl nicht mehr möglich sein, Zivilprozeßrecht zu lernen“, heißt es in einem Offenen Brief der CDU-Studenten, „nachdem uns erst im letzten Semester Professor Olzen verlassen hat“.

3412 junge Menschen studieren am Fachbereich Jura I in der Schlüterstraße derzeit Rechtswissenschaft. Vor zehn Jahren gab es dort weniger Studenten und 40 Professoren. Nach den jüngsten Sparvorschlägen des Uni-Präsidiums werden es bald statt nunmehr 30 nur noch 28 sein. „Uns trifft das bitter. Wir sind jetzt schon in einem Bereich, wo wir unsere Lehrverpflichtung nicht mehr erfüllen können“, sagt Fachbereichssprecher Marian Paschke. Die Überlast und nicht zuletzt eine vom Staat verfügte neue Ausbildungsordnung habe dazu geführt, daß der Fachbereich einen Berg von Prüflingen vor sich herschiebt und fertige Jura-Studenten im Schnitt neun Monate auf ihren Abschluß warten. Bis zu 280 Studierende in Anfängersemestern sind schon heute die Regel.

Horrorzahlen, die die Dickfelligkeit der politisch Verantwortlichen in dieser Stadt nicht beeinträchtigen. Der Eklat um die Absage der Uni-Jubiläumsfeier wird von Wissenschaftssenator Leonhard Hajen und Bürgermeister Henning Voscherau genutzt, um Uni-Präsident Jürgen Lüthje vor der nächsten Verhandlungsrunde einen Kopf kleiner zu machen. Dieser trage eine Wagenburg-Mentalität zur Schau, die „unsachgerechtes Sparen geradezu provoziert“, verkündete Hajen, nachdem Lüthje zuvor öffentlich gesagt hatte, die Universität werde durch die Sparpolitik „überfordert“.

Einmal von oben angewiesen hat der Präsident nun den Uni-Planungsstab zusammenkratzen lassen, was an unbesetzten Stellen zusammenzukratzen ist und eine vorläufige Streichliste erstellt, die erst Anfang Juni offiziell vom Akademischen Senat der Hochschule verabschiedet und bekanntgegeben wird. „Wir versuchen, eine Strategie zu entwickeln, die wenigstens den Anschein von Rationalität hat“, sagt Lüthje-Referentin Karin Fischer-Bluhm. Und: „Wenn die Sparauflagen in der Größenordnung bestehen bleiben und nicht zeitlich gestreckt werden, dann geht es einfach nicht“.

Ein Satz, der auch von nahezu allen Fachbereichssprechern zu hören ist, die dieser Tage von Sitzung zu Sitzung eilen, um zu vermitteln und zu verdauen, „was da auf uns zukommt“. „Auch wenn ich es als Bürger dieser Stadt politisch falsch finde“, Hajen sei „wenigstens ehrlich, wenn er sagt, er will die Uni verkleinern“, meint beispielsweise Ex-Wissenschaftssenator und Chemie-Fachbereichssprecher Hansjörg Sinn. „Aber was ich kritisiere, ist, daß er dies mit einer solchen Hektik macht“.

Denn erst Anfang März hatte der SPD-Senator Hajen die Uni aufgefordert, bis Mitte Mai zu entscheiden, welche Stellen im Umfang von sieben Millionen Mark bis zum Wintersemester gestrichen werden könnten. Im Gegenzug, und das war das politisch neue, dürften Studienplätze gestrichen werden. Sollte Lüthje sich weigern, werde die Behörde von sich aus jede dritte freiwerdende Profstelle kappen.

Im Rahmen des rotgrauen Sparkonzepts für 1996 und 1997 ist noch einmal die Einsparung von mindesten 7,3 Millionen Mark pro Jahr geplant. Insgesamt, so rechnet der Uni-Planungsstab, müssen bis 1997 mindestens 361 Stellen abgegeben und 250 künstlich unbesetzt gehalten werden, was einen Personalabbau von zehn bis 20 Prozent bedeutet. Um einen vernünftigen Reorganisationsprozeß zu ermöglichen, so Fischer-Bluhm, wäre ein einprozentiger Abbau pro Jahr vertretbar. Sprich: die Uni bräuchte mindestens zehn Jahre Zeit.

So aber reißt die Sparpolitik nach dem Zufallsprinzip dort die Löcher, wo ein Professor in Rente geht oder aber - wie im Fall von Reinhard Bork - von einer attraktiveren Uni abgeworben wird. Es trifft Fächer und Fachrichtungen, für die jetzt noch tausende von Studienanfängern zugelassen sind. Und genau hier liegt der eigentliche Haken des politischen Deals, Professorenstellen und Studienplätze gleichermaßen zu kappen. Wenn am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften (“Wiwi“) jetzt - wie es sich verdichtet - mindestens sieben Stellen gestrichen werden, könnte die Zahl der Studienanfänger um 15 Prozent gekürzt werden. Bevor aber tatsächlich ein Sechstel weniger diese Fächer studiert, dauert es fünf bis sieben Jahre. Fazit von Wiwi-Fachbereichssprecher Georg Tolkemitt: „Uns ist damit nicht geholfen. Die Zahl der Studenten pro Lehrkraft wird nicht reduziert“. Im Gegenteil, sie steigt zunächst sogar.

Jura und Wirtschaftswissenschaften gehören zu den großen Fächern, für deren Masse an Studierenden die Bildungspolitik zum Teil andere Ausbildungswege plant. So soll die Fachhochschule einen Studiengang „Technische Betriebswirtschaftslehre“ einrichten, für den die Uni 20 Stellen abgeben soll. Die Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) will künftig Diplomjuristen ausbilden. Dennoch ist die Nachfrage für jene Studienplätze an der Uni unvermindert groß, zwei Bewerber kommen auf einen Platz. Rein juristisch gesehen ist es geboten, erst die Stellen zu streichen und dann die Kapazität zu reduzieren, damit sich nicht - wie in der Medizin oft der Fall - Studierende über die Gerichte einklagen. „Als verantwortungsbewußte Wissenschaftspolitikerin wäre es mir klar, wie ich handeln muß“, sagt eine Uni-Mitarbeiterin: „Die Studenten betreuen, bis sie fertig sind“.

Doch nun scheint es, als würde der Abbau auf dem Weg der natürlichen Fluktuation beschleunigt. Auch Wiwi-Studenten beknien ihre Professoren mit Unterschriftenlisten, doch bitte zu bleiben. Besonders innig ist der Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden nicht: Die Zahl der Studierenden, die ein Professor in Vorlesung, Seminar und Sprechstunde verarzten muß, bewegt sich im halben Tausenderbereich. „Die Bedingungen sind so schlecht, daß bei uns keiner unterrichten will“, sagt Volkswirtschafts-Student Thorsten Meincke. Zehn von 52 Stellen sind seit längerer Zeit unbesetzt. Gerade hat ein beliebter Professor für „betriebliche Steuerlehre“ den Ruf nach Duisburg erhalten. Meincke: „Wenn der geht, sind viele Studierende, die ihren Schwerpunkt auf Steuerlehre gelegt haben, voll angeschmiert.“

Doch während die größeren Fachbereiche inhaltlich die Streichungen vielleicht noch verkraften, weil es „Parallelprofessuren“ gibt, werden bei den kleineren große Lücken gerissen. „Wenn jetzt gekürzt wird, droht unsere wohlüberlegte Struktur zusammenzubrechen“, sagt etwa Politik-Professor Peter Raschke. Von den vier Themenschwerpunkten Regierungslehre, Internationale Politik, Vergleichende Regierungslehre und Politische Theorie könnte einer nicht mehr gelehrt werden. Folge: Die Absolventen stünden schlechter auf dem Arbeitsmarkt da. Raschke: „Wir als Professoren können immer überleben. Schlimmer ist es für die Studierenden“. Eine Streichung von Studienplätzen nützt hier nichts: Schon jetzt gibt es nur noch 15 Hauptfachstudenten für Politik, die Masse sind Nebenfachstudenten, die ein Recht haben, dieses Fach hinzuzuwählen.

Besorgniserregend die Lage am Institut für Soziologie: Von 14 Professoren gehen vier bis fünf durch Pensionierung oder Wegberufung verloren. Unter den verunsicherten Studierenden kursieren Gerüchte, daß Themenschwerpunkte wegfallen und Institute aufgelöst werden.

Auch am Institut für Skandinavistik herrscht Nervosität. Nicht nur, daß Senator Hajen öffentlich vorschlug, Norwegisch zu streichen, durch den drohenden Wegfall einer Lehrkraftstelle für Schwedisch steht das ganze Fach Skandinavistik in Frage. „Schwedisch ist ein Kernfach, ohne dies können Studierende Skandinavistik nicht studieren“, sagt der Sprecher des Fachbereichs Sprachwissenschaft, Udo Köster. Ebenfalls von der Behörde „verhaftet“ (Köster) worden ist eine Stelle für feministische Literaturwissenschaft und eine Professur „interkulturelle Germanistik“. Ein neuer, in Zusammenarbeit mit der Schulbehörde entwickelter Studiengang, der Lehramtsstudenten befähigen soll, Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, adäquat zu unterrichten.

Auch dort, wo versucht wurde, die Schäden früherer Spareingriffe zu reparieren, schlägt der Streichhammer alles wieder kaputt. So war ein Linguistik-Professor bereit, die fehlende Professur für Allgemeine Sprachwissenschaft halb dazu zu übernehmen. Da die dazugehörende Assistentenstelle gestrichen wurde, wird nichts draus. Udo Köster: „Damit bewegen wir uns auf dem Niveau einer pädagogischen Hochschule“.

Die Liste läßt sich beliebig fortsetzen, selbst das Institut für Gebärdensprache muß bangen. Am Institut für Sinologie gehen zwei von drei Professoren in Pension. Ein Fach, dessen Wegfall wegen der wachsenden Bedeutung Chinas wohl kaum erstrebenswert ist. Ebenfalls sehr kritisch sieht es bei den Historikern aus: Ein Professor für Mittelalterliche Geschichte ging in Rente, der zweite wechselte die Stadt. Bleibt ein Hochschullehrer, der 1600 Geschichtsstudenten in diesem Pflichtfach unterrichten müßte. Fachbereichssprecher Horst Pietschmann hat allerdings vom Uni-Präsidenten Entwarnung bekommen. Vorläufig - wenn der Senat hart bleibt, muß künftig jede freiwerdende Stelle gestrichen werden.

Völlig unklar ist zum Beispiel, wer die am Fachbereich Chemie angesiedelten Gewerbelehrer im nächsten Semester unterrichtet. Zwei von drei Stellen werden kassiert, der dritte Kollege fällt aus, berichtet Hansjörg Sinn. Auch in der Physikalischen und der Organischen Chemie entstünden Lücken. Eine „Scharnierstelle“ für die Kooperation mit der TU-Harburg ist in Gefahr. Sinn: „Das schlimme ist nicht das erste Jahr, sondern 1996 und 97. Da habe ich keine Stellen mehr nach, dann geht es doch wieder an die Nachwuchsstellen ran“.

Damit stünde die einzige Vorgabe, die zwischen Uni und Behörde bislang unstrittig ist, in Frage: nämlich die Stellen für den dringend benötigten wissenschaftlichen Nachwuchs zu schonen. Etwas anderes bliebe aber kaum übrig, denn auch ein massiver Stellenabbau beim technischen und Verwaltungspersonal wäre kein Ausweg. Weil Hausmeister, Laboranten und Sekretärinnen nicht so häufig ihren Job wechseln, ist die Fluktuation gering. Ganze vier Stellen, so Karin Fischer Bluhm, werden in diesem Bereich 1995 frei. Aber auch hier hat die Uni bisher nicht mit Personal geaast. Die Bibliothek des Fachbereichs Sozialwissenschaften etwa ist so schwach besetzt, daß vom Kauf bis zur Registratur eines Buches ein Jahr vergeht. Bei den Geologen sind wertvolle, komplizierte Meßapparaturen nicht zu gebrauchen, weil der Mitarbeiter fehlt, der sie wartet und eicht.

„Uns betrübt auch das Verfahren der Universität“, sagt Jura-Sprecher Marian Paschke. Noch im Februar sei er zum Präsidenten zur Anhörung geladen worden, um für das Steko (Struktur- und Entwicklungskonzept) Vorschläge zur „konstruktiven Weiterentwicklung des Fachbereichs“ zu machen. Heute bereut Paschke, daß er den Vorschlag machte, eine Stelle für Öffentliches Recht in Europarecht umzuwidmen. Sie wurde als erste gestrichen. Die Diskussion um ein Strukturkonzept, so vermutet der Jura-Professor jetzt, wurde nur benutzt, um auf Grundlage der Informationen in die Uni „hereinzuschneiden“.

Das Feilschen um Stellen sorgt auch auf dem Campus nicht für beste Stimmung, seit Bekanntwerden der Streichliste wird auch Lüthje zum Freund oder Feind. „Die Strategie unseres Präsidenten ist nur als Schadensbegrenzung zu sehen“, heißt es in einem Info-Blatt des Asta. „Die Universität hat keine Stellen, die ohne Schaden gestrichen werden können“. Im Unterschied zu den Professoren hat der Asta das erklärte politische Ziel, die Studienkapazität zu halten. „Schon jetzt werden jährlich 12.000 abgewiesen“, sagt die Asta-Vorsitzende Katja Werheid. Nur 8000 von 20.000 BerwerberInnen kommen in den „Genuß“ eines Studienplatzes.

Aktive Studierende haben auf Grundlage der von Finanzsenator Ortwin Runde vorgelegten Daten ein Szenario errechnet, das unglaublich ist. Wenn nämlich 1996 und 1997 die Uni wieder einen Anteil von 14 Prozent an den Hamburger Personalkürzungen erbringen muß und gleichzeitig die Vakanzrate erhalten bleibt, bedeute dies einen Abbau von 29 bis 42 Prozent der Professorenstellen. Der Verlust an Studienplätzen wäre so groß, daß diese Aussicht angesichts steigender Schülerzahlen und sinkender Ausbildungsplätze in der Wirtschaft bei den politisch Verantwortlichen in dieser Stadt Bedenken hervorrufen sollte.