„Hierher kommen Leute wie Sie“

San Marino mausert sich langsam, aber sicher zum Kapitalversteck der zweiten Liga – für Intellektuelle, Künstler und taz-Korrespondenten  ■ Aus San Marino Werner Raith

Der Fremdenführer von „Papa- Tours“ rühmt sich eines „fast unfehlbaren Blickes für das, was hinter einem Gesicht steckt“, wie er mit vorgeschobener Unterlippe bemerkt. Fast drohend richtet sich sein Blick auf den taz-Korrespondenten, der ihn leise nach „irgendwelchen guten Adressen für appetitliche Anlagemöglichkeiten“ gefragt hat. „Was, Sie wollen etwas anlegen?“ Die Betonung liegt deutlich auf dem „Sie“.

Nun ist mir der Mann zwar nicht persönlich bekannt, sondern – ebenfalls raunend – von einem Bankmenschen empfohlen worden, doch der hat hinzugefügt: „Wenden Sie sich ruhig an Mariotto, aber wenn Sie einen wirklich guten Schnitt machen wollen, gehen Sie lieber nach Monte Carlo. San Marino ist zwar auch nicht schlecht, aber doch so etwas wie Secondhand.“ Allerdings hatte ihm der Blick auf mein Konto gezeigt, daß das Einstiegskapital eines taz-Mitarbeiters nicht ausreicht, den Monegassen das nötige Vertrauen einzuflößen. Ein paar geliehene Tausendmarkscheine – um ein Bündel von 100.000-Lire- Scheinen herumgewickelt – zeigen dem Reiseführer aber immerhin, daß die Jeans und das offene Sporthemd nur Verkleidung sein könnten. Nach einigen bedeutsamen Schweigeminuten, die mit festem Augenaufschlag beiderseits durchgehalten werden, winkt er mich mit dem Kopf in eine Ecke an der Piazetta del Titano. Ich frage: „Ist es hier?“ Immerhin prangt in der nahen Galerie das noble Schild: „Cassa di risparmio di San Marino“. Mariotto wird ob solch naiver Frage offenbar wieder skeptisch. Er will das Geldbündel noch mal sehen: „Wieviel ist das?“ Das geht ihn nichts an, und siehe da – die Barschheit scheint ihn nun wieder zu überzeugen. So entschließt er sich zu einem Crash-Kurs.

„San Marino ist etwas anderes als Monte Carlo oder Liechtenstein“, doziert er. „Hier gibt es zwar auch Briefkastenfirmen, aber die sind wesentlich weniger sicher als die in Monaco oder der Schweizer Enklave. Die größten Banken hier sind ganz gewöhnliche Banken, bei denen man nicht mehr und nicht weniger verstecken kann als auf jeder italienischen Bank auch. Investmentfirmen und Finanzierungsgesellschaften, bei denen man diskret anlegen kann, gibt es hier wohl. Aber seit sich herumgesprochen hat, daß die italienischen Finanzbeamten sich schon mal unten bei der Einfahrt die Autonummern aufgeschrieben und danach bei den Eigentümern Steuerprüfungen vorgenommen haben, gehen die Leute doch lieber wieder in die klassischen Steuerparadiese.“

Derlei erfordert natürlich Wissen vortäuschendes Kopfnicken. „Aber“, sagt Mariotto, dem das Geldbündel doch irgendwie imponiert hat, „man kann hier hervorragend Geld in andere Kapitalien umtauschen – also Schmuck und Edelsteine kaufen und zollfrei nach Italien ausführen, oder aber sie hier in Depots legen.“ Und nun kommt der Clou: „Man kann sie auch als Sicherheit für Kredite hinterlegen, die man in Korrespondenzbanken abheben kann, ohne Hypotheken- oder Wechselsteuern zu bezahlen.“

Ob er denn sicher sei, daß sich nicht allerlei Politiker und Manager mit schwarzen Kassen hierher verirren, die einen dann in jeden Schmiergeldskandal hineinziehen? Da lächelt Mariotto fein: „Nein, Dottore“, sagt er (offenbar hat er den Personalausweis beim Einchecken zum Flug Rom-Rimini studiert), „hierher kommen Leute wie Sie: Intellektuelle, Künstler, Wissenschaftler, Musiker, Professoren – allerdings nur solche, die einen wirklich guten finanziellen Hintergrund haben.“ Dann flüstert er wieder: „Was glauben Sie, warum sich hier die Crème de la crème der internationalen Gelehrtenwelt eine eigene Universität geschaffen hat?“

Aha. Mariottos konspirativer Blick richtet sich nun wieder auf das arglose Schild „Marinofinanz“, hinter dem sich das für mich geeignete Institut zur Konversion meiner Moneten verbergen soll. Also mal rein, in den zweiten Stock hinauf, während Mariotto sich wieder seiner Reisegruppe widmet. Von denen sind offenbar noch mehrere Aspiranten auf vertrauliche Tips aus. Ich drücke mich eine Viertelstunde im Treppenhaus herum, um die notwendige Zeit zu vertun, damit Mariotto keinen Verdacht schöpft. Als ich wieder in den Bus steige, nickt er nicht sonderlich freundlich, aber vielleicht hat er Ärger mit seinen Mitfahrern.

Weit gefehlt. Beim Abschied in der Flughafenhalle von Rimini schüttelt er den Kopf: „Sie sind Reporter, nicht wahr?“ Wie er es herausgefunden hat, erschließt sich später: „Mensch“, flucht der Bankmensch, der mich an Mariotto empfohlen hat, „das merkt der einfach daran, daß er normalerweise ein Prozent der Anlagesumme von dem Institut erhält. Warum aber sollte einer mit Geldbündeln kommen und nur so tun, als habe er sie angelegt, wenn er nicht Reporter ist?“ Das System ist, scheint es, perfekter als angenommen.