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Von der Bewegung zum Fossil

Nicaraguas Sandinisten übertünchten ihre Differenzen auf dem Parteitag nur notdürftig / Spaltung abgeblockt, Reformdebatte auch / Vorwärts zur nächsten Wahlniederlage?  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Der außerordentliche Parteitag der nicaraguanischen Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), der nach einer nächtlichen Marathonsitzung erst am Montag vormittag zu Ende ging, läßt mehr Fragen offen, als er beantwortete. Nicaraguas Ex-Präsident Daniel Ortega wurde mit überwältigender Mehrheit als Generalsekretär bestätigt; die von ihm angeführte „Demokratische Linke“ sicherte sich eine satte Zweidrittelmehrheit in allen Parteigremien. Sergio Ramirez, Chef der Parlamentsfraktion und Anführer der Reformerströmung „Sandinisten für die Rückkehr zu den Mehrheiten“, war gelb im Gesicht, als das Ergebnis der Wahlen zum Nationaldirektorium verlesen wurde: Er verlor seinen Sitz, obwohl das einem Politbüro entsprechende Gremium von zehn auf 15 Mitglieder erweitert worden war. Der Schriftsteller von Weltruf und ehemalige Vizepräsident an der Seite von Daniel Ortega hatte sich für eine Öffnung der Partei zur Mitte und für Demokratisierung der Strukturen eingesetzt.

Von den bisherigen Mitgliedern hatten sich Armeechef Humberto Ortega und der ehemalige Agrarreformminister Jaime Wheelock, der an der Harvard-Universität in Massachusetts studiert, gar nicht um die Wiederwahl beworben. Die übrigen sieben Comandantes wurden bestätigt. Während auf dem ersten Parteitag 1991 noch eine Einheitsliste abgesegnet wurde, standen diesmal 30 Kandidaten zur Wahl, die in geheimer Abstimmung ausgewählt werden konnten. Allerdings hatte Ortega seinen Anhängern die Parole ausgegeben, Ramirez und dessen Leute nicht zu wählen.

Eine sichtbare Neuerung ist die Aufnahme von Frauen in die bisher exklusiv männlichen Machtetagen: gleich fünf an der Zahl, in Erfüllung einer 30prozentigen Frauenquote, die der Kongreß für alle Parteigremien beschlossen hatte. Außer den Quoten für Frauen und Vertreter der autonomen Regionen an der Atlantikküste haben die zwei Tage und drei Nächte währenden Diskussionen im Plenum jedoch keine nennenswerten Reformen gebracht. Die FSLN nimmt noch immer für sich den Charakter der „Avantgarde“ des Volkes in Anspruch und kennt weiterhin zwei Arten von Mitgliedschaft: einfache Mitglieder und Vollmitglieder (militantes). Das ist ein Hindernis für die von Daniel Ortega seit langem angestrebte Aufnahme in die Sozialistische Internationale wie auch für die Hoffnung, bis zu den Wahlen 1996 wieder mehrheitsfähig zu werden. Deswegen frohlocken auch die konservativen Parteien, die Daniel Ortega als einen Mann betrachten, der bei seiner Basis gut ankommt, aber als Präsident einer gescheiterten Regierung verbraucht ist. Einer inneren Demokratisierung und einer echten Unabhängigkeit der prosandinistischen Medien steht er im Wege.

Die Autoritätshörigkeit gegenüber den Comandantes, die lange Zeit absolutistisch geherrscht hatten, scheint noch ungebrochen. Die Mehrheit der Delegierten stimmte in den entscheidenden Fragen immer gemäß den von Daniel Ortega ausgegebenen Parolen, auch wenn diese widersprüchlich waren. Ortega hatte seinem langjährigen Rivalen Tomas Borge das erst zu schaffende Amt des Parteipräsidenten angeboten, um ihn auf seine Seite zu ziehen; heimlich hatte er aber Anweisung gegeben, gegen Borge zu stimmen. So begrüßten die Delegierten erst mit frenetischem Applaus die Nominierung des Kandidaten, verhinderten aber wenige Augenblicke später mit hauchdünner Mehrheit seine Wahl.

Tomas Borge, dem als letztem Überlebenden der Gruppe von Parteigründern den Kongreßvorsitz übertragen wurde, sorgte jedoch selber dafür, daß auch über heikle Punkte schnell abgestimmt wurde. Eine Diskussion über die Ursachen des parteiinternen Zwistes beendete er mit der Mitteilung, er habe mit allen Beteiligten gesprochen und keiner sei für eine Spaltung, daher gebe es keinen Erörterungsbedarf. Auch die dubiosen Eigentumstransaktionen nach der Wahlniederlage von 1990, die sogenannte Pinata, und konkrete Alternativen zur neoliberalen Wirtschaftspolitik wurden nicht thematisiert.

So bleibt Daniel Ortegas Allmacht bestehen. Schon wurde dem ehemaligen Parteiorgan Barricada, das sich im Vorfeld des Kongresses reichlich Kritik erlaubt hatte, ein Köpferollen angedroht. Unter den Intellektuellen in Managua macht sich Katastrophenstimmung breit. Eine regelrechte Desertionswelle wird erwartet. Die nächsten Wahlen in Nicaragua im November 1996 sind bei einem gleichbleibenden Kurs schon so gut wie verloren.

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