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Schnellere Angleichung in Berlin

■ Berliner Senat will Ost- an Westgehälter anpassen

Berlin (taz) – LehrerInnen demonstrierten, Kita-ErzieherInnen streikten, und auch die Busse und U-Bahnen im Ostteil Berlins standen zeitweise still. Mit einer Warnstreik-Welle wollten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Ostberlin in den vergangenen Wochen ihrer Forderung Nachdruck verleihen, bald genausoviel zu verdienen wie ihre Kollegen im Westteil der Stadt. Jetzt kam es bei den Verhandlungen zum Durchbruch: der Berliner Senat hat sich bereit erklärt, die Ostgehälter quasi im Alleingang schneller an die Westeinkommen anzupassen.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sagte am Dienstag nach einer Kabinettssitzung, die Gehälter für die rund 110.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sollten bis 1996 stufenweise an die Einkommen im Westen angeglichen werden. Derzeit liegen die Bezüge bei 80 Prozent der Westtarife. Die Erhöhungen sollen in Form übertariflicher Zulagen gewährt werden, so daß laut Diepgen keine Änderung des Tarifvertrages und damit auch nicht die Zustimmung der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TDL) erforderlich wäre. Von der TDL war jedoch zu hören, daß solche Änderungen sehr wohl der Zustimmung bedürfen. Streit über den Alleingang Berlins ist also vorprogrammiert.

In Berlin zeigt sich allerdings auch besonders deutlich die Absurdität des Einkommensgefälles zwischen Ost und West. Kita-ErzieherInnen oder Müllwerker, die in Ost- oder Westbezirken die gleiche Arbeit tun, bringen dennoch höchst unterschiedliche Gehälter nach Hause. Eine 28jährige Krankenschwester, verheiratet, seit acht Jahren im öffentlichen Dienst, bekommt im Westen rund 3.800 Mark brutto im Monat, im Osten dagegen 3.040 Mark. Der Unmut über die Ungleichheit nimmt in dem Maße zu, wie sich mit den steigenden Mieten der Unterschied in den Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West verringert. Allerdings ist das Ost-West-Gefälle bei der Bezahlung in den Branchen unterschiedlich groß. Während beispielsweise im vergleichsweise gut dotierten Bankwesen die Ostgehälter bei rund 87 Prozent der Westbezüge liegen, muß ein ohnehin schon schlecht bezahlter Textil-Facharbeiter mit rund 70 Prozent des Westgehalts vorlieb nehmen. Ein Textil-Facharbeiter im Akkord verdient im Westen rund 3.300 Mark brutto, im Osten dagegen 2.250 Mark.

Der Tarifexperte des DGB-Forschungsinstituts WSI, Reinhard Bispinck, spricht daher auch von einer „kumulativen Ungleichheit“ in der Ost-West-Entgeltstruktur. Je niedriger die Bezahlung, desto größer das prozentuale Gefälle zwischen West- und Osteinkommen. BD

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