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Strafmaß per Taschenrechner

Ein US-Gericht verurteilt vier Araber, weil sie im Februar 1993 den Anschlag auf das „World Trade Center“ begangen haben sollen / Sie müssen für je 240 Jahre hinter Gitter  ■ Aus New York Andrea Böhm

Es war das dramatisch-groteske Ende eines ebenso langatmigen wie grotesken Gerichtsverfahrens: Am Dienstag verurteilte Richter Kevin Duffy in einem New Yorker Gerichtssaal jeden der vier Angeklagten im „World Trade Center“- Prozeß zu einer Gefängnisstrafe von 240 Jahren. Die vier – Mohammed Salameh, Nidal Ayyad, Mahmud Abu Halima und Ahmad Ajaj – waren am 4. März dieses Jahres für schuldig befunden worden, am 26. Februar 1993 den Anschlag auf das „World Trade Center“ verübt zu haben. Damals waren bei der Explosion einer Autobombe in der Tiefgarage des Hochhauses sechs Menschen getötet und über 1.000 verletzt worden. Zur Begründung des Strafmasses erklärte Duffy, er habe sichergehen wollen, daß alle vier ohne Aussicht auf Straferlaß „den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen.“ 240 Jahre entsprächen den zusammengerechneten Lebenserwartungen der sechs Opfer.

Der letzte Gerichtstag in einem Marathonprozeß war geprägt von wütenden Wortwechseln zwischen Duffy und den Angeklagten, die sich zum ersten Mal ausführlich äußerten. Salameh, der die Polizei auf die Fährte der Gruppe brachte, als er den detonierten Mietwagen bei der Verleihfirma als gestohlen meldete und seine Kaution zurückhaben wollte, protestierte gegen den Prozeß und seine Behandlung im Gefängnis. Er bekundete seine Solidarität mit militanten Islamisten in Afghanistan, Algerien und Ägypten. Abu Halima, der an der Herstellung der Bombe beteiligt war, kritisierte den Materialismus und Sittenverfall der US-amerikanischen Gesellschaft. Ayyad, auf dessen Computerdisketten Bekennerschreiben gefunden worden waren, erklärte dem Richter wütend, einmal oder zehnmal lebenslange Haft bedeuteten überhaupt nichts. „Wenn Gott will, daß ich aus dem Gefängnis herauskomme, dann komme ich raus. Wenn er will, daß ich in Haft bleibe, bleibe ich drin.“ „Sie sind der größte Heuchler in diesem Saal“, entgegnete Duffy. „Sie haben nicht das Recht, über den Islam zu reden. Sie haben ihn beschmutzt.“ Nur Ahmad Ajaj, der zum Zeitpunkt der Tat selbst im Gefängnis saß, aber den Anschlag mitgeplant haben soll, distanzierte sich ausdrücklich von dem Attentat.

Während des Prozesses hatte es immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anwälten über die geeignete Verteidigungsstrategie für ihre Mandanten gegeben. Auf der anderen Seite leistete sich die Staatsanwaltschaft einige peinliche Auftritte. So wurde zum Beispiel ein Augenzeuge präsentiert, der auf die Frage, ob er die Tatverdächtigen im Gerichtssaal identifizieren könne, nicht auf die Anklagebank, sondern auf die Geschworenen zeigte.

Der Anschlag auf das „World Trade Center“ war der erste größere terroristische Akt, der auf amerikanischem Boden verübt wurde. Bei allem Schrecken und Horror löste die Aktion Erstaunen über die Stümperhaftigkeit der Täter aus, die der Polizei die Fahndung so ungemein erleichterte. Das vermeintliche Netzwerk hochprofessioneller Terroristen entpuppte sich als höchst heterogene Gruppe religiöser Fanatiker und strategischer Amateure aus dem Umfeld eines islamistischen Geistlichen: Scheich Omar Abdel Rahman, der in Ägypten einst der Mittäterschaft des Mordes an Präsident Anwar Al-Sadat angeklagt war, dort freigesprochen wurde, und später ganz legal in die USA einreiste. Rahman sitzt derzeit in New York in Abschiebehaft. Die ägyptischen Behörden hatten seine Auslieferung beantragt.

Der Prozeß gegen die vier Attentäter wird nicht der letzte dieser Art sein. Gegen 18 weitere Personen, darunter ein Bruder von Abu Halima, wird wegen versuchter Bombenanschläge und Attentate ermittelt – unter anderem sollen sie geplant haben, zwei Autotunnel zwischen New York und New Jersey sowie das FBI-Gebäude in Manhattan in die Luft zu sprengen sowie den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zu ermorden.

Kommentar auf Seite 10

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