Anklage gegen Antifaschisten

■ Tötung eines DL-Funktionärs führt zu Prozeß in Berlin

Berlin (taz) – Drei Tage, nachdem mehrere tausend Anhänger der linksautonomen Szene auf einer bundesweiten Demonstration in Berlin die Freilassung von fünf türkischen und kurdischen Antifaschisten gefordert hatten, ließ die Staatsanwaltschaft beim Landgericht den Knüppel aus dem Sack. Am Dienstag erhob die Berliner Behörde gegen vier mutmaßliche Täter Anklage wegen gemeinschaftlich vollendeten Mordes sowie wegen mehrfachen versuchten Mordes. Die drei Männer und eine Frau im Alter von 22 bis 33 Jahren sollen am 4. April 1992 an einem Überfall auf ein Neuköllner China-Restaurant beteiligt gewesen sein, bei dem der 47jährige Schatzmeister der rechtsextremistischen „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DL), Gerhard Kaindl, durch Messerstiche getötet und das damalige DL-Mitglied Thorsten Thaler schwer verletzt worden waren.

Das Verfahren gegen einen fünften Verdächtigen, Erkan S., der derzeit in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht ist, wurde abgetrennt. Ob auch gegen ihn eine Anklageschrift erfolgt, wird von Gutachten abhängig gemacht, die nach Aussagen der Sprecherin bei der Staatsanwaltschaft, Uta Fölster, „noch nicht vollständig vorliegen“. Mit einer Entscheidung sei jedoch „in Kürze zu rechnen“.

Offen ist auch, wann die Hauptverhandlung gegen die jetzt vier Angeklagten, die seit November in Untersuchungshaft sitzen, eröffnet wird. Zeitgleich mit der Mitteilung der Staatsanwaltschaft erhielten die Berliner Medien auch Post vom Staatsschutz der Berliner Kriminalpolizei. Sie bestätigte, was bislang als Gerücht in Flugblättern der linken Szene kursierte: Weitere sechs Tatverdächtige, eine Frau und fünf Männer, werden ebenfalls per Haftbefehl gesucht. Lange Zeit war die Sonderkommission, die nach taz-Informationen personenenbezogene Daten eines der Verdächtigen an DL- Mitglied Thorsten Thaler weitergegeben hat (was wiederum von der Berliner Innenverwaltung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen bestritten wird), keinen Schritt vorangekommen.

Einige der sechs Tatverdächtigen, deren Fahndungsbilder gestern in mehreren Blättern der Hauptstadt abgedruckt wurden, sollen sich nach Polizeiangaben mittlerweile in die Türkei abgesetzt haben. Die Arbeit der Solidaritätsgruppe aus dem linksautonomen Spektrum, die von Einzelpersonen der PDS und IG Metall unterstützt wird, glich von Anbeginn einem politischen Spagat. Nicht nur, daß die Tat selbst in der Szene diskutiert wurde. Auch die Rolle einiger Inhaftierter war nicht dazu angetan, nach außen hin das geschlossene Bild zu vermitteln, das die Szene lange Zeit vermitteln wollte. Zu unterschiedlich waren offenkundig die Interessen der Inhaftierten. So lösten erst die Aussagen des 18jährigen Erkan S., der sich im vergangenen November der Polizei stellte, die Verhaftungs- und Durchsuchungswelle aus. Erschwerend kommt hinzu, daß einer der mutmaßlichen Täter, der ebenfalls gegenüber der Polizei Angaben machte, nach kurzer Zeit aus der Solidaritätsarbeit ausscherte. Frühzeitig zum Scheitern gebracht war damit die ursprünglich vorgesehene gemeinsame Verteidigungslinie der Rechtsanwälte. Severin Weiland