: Die SPD, das trotzige Kind
■ Kinderpsychiater Harro Naumann zum Kind in der SPD und seiner Enttäuschungswut
taz: Nach der Wahl Roman Herzogs zum Bundespräsidenten reagieren die Sozis mit Wut, Trotz und Beschimpfung des Gegners. Nun ist die SPD zwar schon 126 Jahre alt, aber unter Streß können auch reife Personen stark regredieren. Werden Kinder trotzig, wenn sie nicht ihren Willen bekommen?
Harro Naumann: Ja, es ist eine sehr typische und sehr spontane Reaktion bei Kindern. Das Gefühl geht direkt über den Körper: Hände und Arme werden geschmissen oder der ganze Körper auf den Boden geworfen. Dies ist ein für Kinder angemessenes Verhalten.
Das muß sich ausleben können...
Ja, es muß Verständnis dafür geben, daß diese Reaktion bei Kindern normal ist.
Ist es für Kinder besonders schwer, Verluste hinzunehmen?
Erwachsene haben ihre Erfahrungen, mit Verlusten umzugehen, für Kinder ist es noch neu und insofern schwerer. Sie haben kein Verhaltensrepertoire, auf das sie zurückgreifen können.
Welche Emotionen haben Sie nach Verlusten beobachtet?
Häufig verleugnen Kinder die Realität und wollen sie nicht wahrhaben. Sie wollen, daß alles so ist, wie sie es sich vorstellen, um mit ihren tieferen Gefühlen nicht in Kontakt kommen zu müssen.
Sie täuschen sich über die Realität hinweg?
Solange es irgend geht, phantasieren sie sich Übergangsdinge in das seelische Loch, das für sie entstanden ist.
Wut und Ärger?
Bei Kindern ist es ja so, daß die anderen die Sachen initiieren. Siesind ohnmächtig und fühlen sich daher auch nicht verantwortlich. Insofern ist ihre Wut berechtigt.
Bleibt es bei der Wut?
Es können Depression und Rückzug folgen – was zu unterscheiden ist von Trauer.
Wo liegt der Unterschied?
Bei Trauer hat man die Möglichkeit, allen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und kann danach die Realität akzeptieren und mit ihr umgehen. Man hat wieder Kräfte und Energie für etwas Neues. Wenn man in die Depression rutscht, dann bleiben die negativen Gefühle unbewußt im Körper gebunden. Man kann sie nicht verarbeiten und wird nicht frei davon.
Was macht man mit solch einem Kind?
Dem Kind muß die Wahrheit zugemutet werden, man darf ihm nichts vormachen.
Was unterscheidet kindliches und erwachsenes Verhalten bei einem Verlust?
Ein Erwachsener kann mehr aushalten und bewußter planen. Außerdem kann man als Erwachsener den Kopf benutzen. Interview: bam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen