: Schrippchen heißt det!
■ Berlin (oder fast Berlin) idyllisch – eine kleine Dorfbesichtigung
Buchholz ist ein kleines Dorf mitten in Berlin. Na gut, nicht genau in der Mitte, eher im Norden, ein Stückchen hinter Pankow... Aber vom S-Bahnhof Friedrichstraße doch nicht weiter als 25 Minuten. Schon auf dem Weg hält man an S-Bahn-Stationen mit so idyllischen Namen wie Humboldthain und Gesundbrunnen mitten im Grünen. Bornholmer Straße, wo der breite leere Streifen Grenzlandes noch nicht bebaut oder begrünt ist, steigt man um in die S-Bahn Richtung Bernau und fährt nur noch zwei Stationen bis Pankow-Heinersdorf. Nach Buchholz ist keine Station benannt, wahrscheinlich kennt es deshalb in Berlin auch kein Mensch.
Ab Heinersdorf kann man entweder mit der lärmenden Straßenbahn fahren, oder man geht zu Fuß das letzte Stück, vorbei an den nördlichsten Plattenbauten Berlins, Ruinen und frischen Baugruben und einer Auffahrt zur Autobahn. Vorbei auch an bunten Plakatwänden auf grünen Wiesen, die genau hier den Bau von Geschäftszentren, Arztpraxen und Businesshotels versprechen. Nach etwa fünf Minuten zu Fuß verkündet ein grünes Schild die Buchholzer Stadtgrenze, gleich neben dem ersten Dönerstand und dem Kiosk, in dem es einfach alles gibt. Neben Zeitungen auch Geburtstagskarten („Wer hat'n Jeburtstach?“ fragt der Herr hinter dem Ladentisch, wenn man eine solche ersteht), Brötchen („Schrippchen heißt det!“ wird man sanft, aber bestimmt zurechtgewiesen), Kaffee, Würstchen, Briefmarken und ein Kopiergerät.
Diese beiden Häuser sind schon ein erstes kleines Dorfzentrum. Fast so wichtig wie der Supermarkt, der noch provisorisch in einem Container untergebracht ist und vor dessen Eingang sich flugs kleine Händler angesiedelt haben. Das Einkaufen in der Konsumdose ist allerdings keine rechte Freude. Hier gelten Kunden noch als persönliche Feinde der Verkäuferin, ohne die sie einen ruhigen Nachmittag hätte. Wehe dem, der seine Waren nicht sofort vollzählig aufs Band legt oder gar, wie ein Ausländer vor mir in der Schlange, ihre Anweisungen nicht gleich versteht. („Sag'n Se mal, könn'Se keen Deutsch oder wat?“)
Geht man nur etwas abseits von der Hauptstraße, die einsichtigerweise Berliner Straße heißt, sind die Wege gleich kopfsteingepflastert, nach einer Weile sogar ganz unbefestigt, und nach langen Regenfällen kaum noch zu befahren. Die Wege heißen Elfenallee oder Margarethenaue und führen auf freies, unbebautes Feld oder münden in kleine Pfade, die entlang eines Baches verlaufen, der in die Fischteiche mündet. Hier grüßt man sich („Tachchen“), auch wenn man sich gar nicht kennt, ein kleines Mädchen mit rotem Haar reitet ihr Pony aus – und die Mutter im schwarzen Golf vorneweg –, die Natur hat noch Platz, und die Sparkasse residiert im alten Omnibus. Volker Weidermann
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