Zwischen den Rillen: Abstrakte Gefühle
■ Sparsamkeit und Reduktion, wie vom Skizzenblock gerissen: Die vierte Platte von Swell aus San Francisco
„(It's time to) move on“ heißt der letzte „richtige“ Song auf „41“, dem drittem Album von Swell. Danach schlurfen Schritte eine Treppe herunter, fällt eine Tür ins Schloß, wird zugesperrt. Straßenlärm und die gesprochenen lyrics der vorangegangenen Songs sind die letzten Dinge, die man noch hört.
Mit „41“ setzen Swell aus San Francisco dem Ort, an dem sie ihre bisherigen drei Platten aufgenommen haben, noch einmal ein Denkmal. Ein altes Lagerhaus im Außenseiterviertel Tenderloin, Nummer 41, gewährte Platz und Raum für einen eigenartig trockenen Sound, der nur schwer mit Begriffen wie „Folk“ oder „Rock“ einzuzäunen ist. Nicht daß dieser Sound vom gemeinen instrumentellen Schema groß abweichen würde – auch bei Swell stehen Gitarre, Schlagzeug und Baß als unverrückbare Pfeiler im Mittelpunkt. Doch welch Sparsamkeit und Reduktion sind hier die Gebote der Stunde!
Typisch ist ein monoton und spröde klingendes, stumpfes Schlagzeug, das selbstvergessen den Takt angibt. Mit diesem korrespondiert zum größten Teil eine furztrockene akustische Gitarre, die schroff die Songfiguren kreiert und fast vergessen läßt, daß auch ein Baß kaum wahrnehmbar seine Kreise zieht.
Es liegt aber auch am Proberaum, der gleichzeitig Tonstudio ist, daß Swell den Raum in ihren Songs auf für sie ganz charakteristische, zweischneidige Art und Weise produzieren: Einerseits hat man den Eindruck von Hermetik und Distanz, andererseits kommuniziert die Band mittels ständig eingeblendeter Geräuschschnipsel mit ihrer unmittelbarsten Umgebung, ihrem Stadtviertel. Auf „well“, ihrer zweiten Platte, ließen sie 15 Minuten lang ein Mikrofon den Sound der Straße einfangen, um diesen „natürlichen“ ständig murmelnden, hintergründigen Dauerton mit einem wie aus der Ferne kommenden Song zu adeln. Auch auf „41“ wird dieses Prinzip verfolgt, werden Straßengeräusche, das Klingeln eines Telefons, ein einsames Pfeifen oder auf- und zuschließende Schlüssel plaziert, um den Rahmen und die Produktionsbedingungen der Musik mit einzubeziehen. Swell stellen Klangkörper im Durchgangsraum her und richten ihren Sound sehr sanft nach innen wie außen.
Dabei bieten sie keine musikalischen Gefühlsentwürfe an, nur Abstraktionen davon. Emotionen müssen Wesen von einem anderen Stern sein. So gibt es auf „41“ weder identitätsstiftende Melodien noch andere Wohlklänge für den schnellen Gebrauch – was aber nicht heißt, daß nun gleich Kälte und Konzeptualität herüberwehen! Von so etwas Fadenscheinigem wie einem Rock- oder Pop-Modell für eine oft als „neu-verloren“ bezeichnete Generation ist das Album damit natürlich Lichtjahre entfernt.
Trotzdem wirken die Songs gerade durch ihre dezente Verlorenheit, eine Verlorenheit, die ruhig und gelassen, mit sich und der Welt im reinen scheint. Diese Band kennt erst mal nur ihr eigenes Universum, erweist niemandem Reverenzen und setzt vermeintliche Geschichts- und Kulturlosigkeit in einen bewußten Vorteil um. Durch das Ignorieren (fast) jeglicher Rockismen wird auf „41“ Abgeschiedenheit ausgebeutet und ausgelebt.
Swell sind ein schwerwiegender Grund dafür, daß Musik aus den Staaten – Grunge hin, Folk her – immer noch aufregender ist als jede immer gerade mal für ein paar Umdrehungen die Pop- Welt aufrüttelnde britische Platte.
Auch wenn diese Band im eigenen Land soviel gilt wie der sprichwörtliche Prophet: Genau wie für die sogenannten Neo- Folk-Acts aus San Francisco, mit denen sie ansonsten nicht mal ein Glas an derselben Theke verbindet, interessiert sich in den USA kaum ein Mensch für Swell, ist Europa beliebter Aufenthalts- und Auftrittsort.
Unprätentiös, aber aufregend sitzen Swell ziemlich gut zwischen allen Stühlen. Ihre Plattenfirma in Deutschland versucht, „41“ etwas hilflos als „Neo-Folk- Lärm“ anzupreisen, doch ihre Alben werden sich als langvorhaltende Dauerbrenner erweisen. Man schiebt sie immer wieder ein (oder legt sie auf), nur um sich zu wundern, daß diese Musik so lange greift und ergreift. Wenn es nicht so abgegriffen wäre, könnte man sich Swell und das Wort „Zeitlosigkeit“ ganz gut zusammendenken. Gerrit Bartels
Swell: „41“ (Beggars Banquet/ SPV)
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