: S. Froid des Voodoo
■ Mehr als dreißig Jahre im Geschäft: Dr. John, weiterhin auf dem Nachttrip
Einen gewissen Hang zu späterer Körperfülle läßt der junge Mann mit der gepflegten Buddy- Holly-Tolle, den Hamsterbacken und dem lieben Lächeln durchaus erkennen, ansonsten deutet wenig darauf hin, daß das beschlipste Milchgesicht dereinst als wildwütiger Dr. John mit Löwenmähne und Federgewand die Bühnen und Plattenstudios unsicher machen wird. Das Foto im Booklet zur Dr.- John-Anthologie „Mos' Scocious“ zeigt ein braves, etwa 16jähriges Bürgersöhnchen namens Malcolm „Mac“ Rebennack in der Blüte seiner frühen Jahre, schon damals ein Virtuose auf Piano und Gitarre, der mit seiner Band in jedem erreichbaren Klub von New Orleans spielte und ansonsten in den Plattenstudios herumhing, wo er bereitwillig einsprang, wenn ein Sessionmusiker ausfiel.
Als instrumentales Wunderkind auf den Spuren seiner Idole Professor Longhair oder Huey Smith war der 1941 geborene Rebennack in der Musikszene der Stadt am Mississippi bereits in den fünfziger und sechziger Jahren, als er unter anderen Sonny & Cher begleitete, ein Begriff. Berühmt wurde er jedoch erst, als er sich die Faszination zunutze machte, die der Mardi Gras, der Karneval von New Orleans, und der Voodoo-Kult auf die für Mythen aller Art empfängliche Hippie-Generation ausübten. Ohne Furcht vor der Rache böser Geister schlüpfte er in die Rolle des düsteren Dr. John, eines schwarzen Voodoo-Priesters des 19. Jahrhunderts, der in New Orleans gemeinsam mit Skorpionen und Schlangen ein Haus bewohnte, in dem sich die Bürger und Bürgerinnen der Stadt mit „Gris- Gris“, Zaubermitteln, versorgten, um mißliebigen Konkurrenten und Nebenbuhlern zu Leibe zu rücken. „They call me Dr. John, the Night Tripper“, raunzte Rebennack 1968 programmatisch in seinem Stück „Gris-Gris Gumbo Ya-Ya“, während im Hintergrund ätherische Frauenstimmen unheilverheißend säuselten. Der neue Hohepriester des Gruselrocks war geboren, der sich im Gegensatz zum eitlen Firlefanz etwa eines Alice Cooper mit echten Insignien eines existierenden, mysteriösen und vor allem schauderhaften Kultes ausstaffieren konnte.
Hatte Dr. John sich auf seinen zuvor veröffentlichten Singles mit Instrumental-Parts begnügt, erhob er nun auch seine Stimme, der er das bedrohliche Timbre eines verschnupften Zombies zu verleihen suchte, was ihm in der Regel bestens gelang. „Mos' Scocious“ enthält 39 Stücke aus 30 Jahren Dr.- John-Musikgeschichte, darunter Kompositionen wie „Zu-Zu-Mamou“, bei dem Mick Jagger im Background rumort, den großen Hit „Such A Night“, einige seiner Piano-Solostücke und etliche Perlen aus dem Fundus der New-Orleans- und Mardi-Gras-Tradition, den er immer wieder mit Begeisterung plünderte. Am besten aber, das macht die Anthologie deutlich, geraten ihm tatsächlich seine gänsehautverursachenden Night-Trips in jene Gefilde, wo die Nacht düster ist, der Mond rot und der Zombie voller Tatendrang.
So auch auf seiner neuen CD „Television“, mit der er nahtlos den alten Dr.-John-Mythos weiterpflegt, in Stücken wie „Witchy Red“ und „Shadows“ in Voodoo- Metaphern und -Melodien schwelgt, auf der anderen Seite aber auch seine alte Liebe, den Funk, zu Ehren kommen läßt. „Shut D'Fonk Up“, heißt seine Hommage an die Protagonisten des Funkadelic, meint aber natürlich genau das Gegenteil dessen, was der Titel nahelegt: „You can't shut the fonk up“, rappt Dr. John kategorisch und bestätigt selbiges mit seiner funkensprühenden Musik auf diesem Album. In den Texten übt sich der alte Meister eifrig in Gesellschaftskritik, wettert gegen die Geistesverneblung durch Fernsehen und Radio, liefert einen Abgesang auf den amerikanischen Traum – „You 'bout to fall down on yo funky ass“ – und freut sich an Wortverballhornungen wie „Siegmund Froid“ oder „Thank you falletin me be mice elf again“.
Dazu gibt es exquisites Bluespiano in „U Lie 2 Much“, eine Neuauflage des alten Klassikers „Money“, ein wenig „Black cat bone“-Lyrik und eben jede Menge Funk. Alles nicht übermäßig aufregend und ganz und gar nicht überraschend, aber angenehm zu hören. Um mit den Worten des schwergewichtigen Doktors, der nunmehr auch seine Memoiren „Under A Hoodoo Moon“ veröffentlicht hat, zu sprechen: „Wenn man gute Laune hat und Lust bekommt zu tanzen, liegt es am Funk.“ Matti Lieske
Dr. John: Television, MCA/GRP 1994, GRM 40252
Mos' Scocious, The Dr. John Anthology, Rhino Records 1993, 8122-71450-2
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