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Ruhig mal eine Masche fallenlassen

■ Nur noch am Rande dem revolutionären Spirit verhaftet: Das Jazzfest in Moers

Daß zum pfingstlichen Jazzfest 40.000 Besucher nach Moers kamen, ist nicht unbedingt ein Sieg der Avantgarde. Das Wort Jazz vor dem Festival ist vielmehr in den Hintergrund getreten, die dazugehörige Musik zwar weiterhin vertreten, obwohl sie in ihrer tradierten Form erst als zehnter Akt und Abschlußkonzert des zweiten Abends zu hören war. Es hätte aber auch irgendwann mittendrin sein können, wie im Jahrzehnt zuvor, als David Murray oder R. Shannon Jackson an derselben Stelle Triumphe feierten, an der sie heute mit ihren 70er-Jahre-Funk- Konzepten nur noch für Anmache sorgen.

Dabei sollte, wie der künstlerische Leiter Burkhard Hennen kürzlich anmerkte, dem auf durchschnittlich 23 Jahre verjüngten Publikum die Gelegenheit gegeben werden, eben auch die Jazzheroen zu hören. Doch Jacksons furioses Free-Funk-Projekt The Decoding Society oder Murrays postmoderne Big Band gehören unwiderruflich den achtziger Jahren an und lassen sich selbst in gut pädagogischer Absicht nicht wiederbeleben. Was bleibt, ist das gewohnte werbewirksame Spiel mit großen Namen, die mit eilig zusammengestellten Festivalbesetzungen auf die jährliche Tournee gehen und die working ensembles nur noch zur Tonträgerherstellung ins Studio rufen.

Anders bei Schlagzeuger-Altstar Chico Hamilton. Er arbeitet seit 1987 in seinem Quartett Euphoria mit einer spannungsreichen Mischung aus Hardbop, Latin, Funk und Harmolodics, die der 73jährige laid-back und ohne sichtliche Anstrengung zusammenhält. Der versierte Begleiter von Billie Holiday, Lester Young, Charles Mingus, Count Basie und Duke Ellington setzt nicht auf das Revival, sondern versucht einfach „Musik zu machen, nicht nur spielen zu können“ – wobei Hamilton eher bescheiden als kokett hinzufügt, daß er das erst seit zwölf Jahren tun würde. Auch die beiden kreativen Bandleader und Komponisten Ned Rothenberg und Klaus König reflektieren den Jazz. König verwirbelt Ragtime, stompt in exzellenter Big-Band-Manier, und das Orchester ist jederzeit at command, bei Musikern wie Schlagzeuger Gerry Hemingway, Kontrabassist Mark Dresser und Geiger Mark Feldman eine Selbstverständlichkeit. Diese drei garantieren auch, daß Rothenbergs ausgedehnte Improvisationsteile und gelegentliche Ausflüge in die europäische Klassik gelingen; oder ein spanischer Volkstanz, eine Sarabande, die dann, kaum noch zu erkennen, scheinbar aus dem Takt gerät. Allein dieser eine Titel bietet spannendere Beschäftigung mit europäischer Volksmusik, als es Die Knödel bei ihrem ganzen Auftritt boten: ein Septett junger klassisch geschulter Musiker aus Österreich, die ein bißchen mehr an Improvisation wagen und nach einem Ländler und zwei Polkas auch ruhig mal eine Masche fallenlassen sollten.

Draußen im Stadtpark bei der überdimensionalen Camper-Gemeinde quillt dagegen jede Menge perfekter, vorgefertigter Musik aus Autolautsprechern und Ghettoblastern. Allabendlich privat veranstaltete Discos reichen von Techno bis HipHop, ein paar Zelte weiter finden Trommelsessions statt. Ein fünfköpfiger Saxophonchor verzieht sich fluchtartig in einen nicht zum Campen freigegebenen Teil des Parks, in den sich auch die bedrohte Tierwelt verkriecht. „Das Festival gerät an seine kritische Grenze“, räumt der Kulturdezernent der Stadt ein, deren Bürger das Spektakel zum gewohnten Pfingstspaziergang goutieren. Sie gehen wieder, wenn sie genug gesehen und gehört haben, worum sie so mancher lärmgeplagte Camper insgeheim beneidet. Vor ein paar Jahren hätten sie hier auch umsonst und außerhalb des Festzelts Helge Schneider samt Jazzband begegnen können.

Seit dem letzten Jahr wird gezielt ein Workshop angeboten, der, anknüpfend an das Publikumsorchester von 1980, einen Auftritt in dreitägigen öffentlichen Proben vorbereitet. Frank Köllges, Schlagzeuger und Orchesterleiter aus Köln, gibt Einsätze, Dynamik, Tonhöhe und Intervallsprünge sowie den Rhythmus durch vielfältige Handzeichen und Fingerstellungen vor und benutzt, wenn es

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gar nicht anders geht, die Trillerpfeife. Und das ist nicht die einzige Parallele zum Sport. Während einer Matinee werden die Darbietungen einer Gruppe junger Boxer von zwei kompletten Kapellen der Workshop-Teilnehmer begleitet. Bei Zweikämpfen schlägt sich jeweils ein Solist auf die Seite eines der Kontrahenten und feuert ihn an oder synchronisiert eine Schlagfolge. Dazu jubelt und stöhnt der Chor, und Köllges selbst wird irgendwann zum begeisterten Sportreporter. Sport auch als Thema beim abschließenden Auftritt des Workshop-Orchesters: Zwei Bodybuilder gehen in Pose, spannen ihre Muskeln, während die 50köpfige Band Tutti simuliert und kein einziger Ton erklingt.

Eine Grenzüberschreitung anderer Art bietet jährlich das frei improvisierende Projekt, bei dem jeweils ein Künstler die Band seiner Wahl zusammenstellen kann. Die carte blanche fiel diesmal dem Saxophonisten Evan Parker zu, der seine Spontankunst in drei Matinees und beim Festivalauftritt trefflich demonstrierte. „Wir laden immer einen Dritten ein, der mit uns improvisiert“, erklärte der durch die Arbeit mit Fred Frith (Skeleton Crew) bekannt gewordene Cellist Tom Cora, „der alle Gewohnheiten, die wir angenommen haben, stört.“ Third Person heißt dann auch programmatisch sein um einen Gast erweitertes Duo mit dem Sample-Perkussionisten Sam Bennett. Ihre Zweisamkeit stört nun der in Moers schon bekannte Japaner Kazutoki Umezu am Saxophon. Behutsam entwickeln die drei schöne und bizarre Soundcollagen, die Bennett und Cora auf den Beat oder zum Tanzen bringen, aber anschließend wieder genüßlich demontieren. Tom Cora trat auch in anderem Kontext auf die Bühne mit der Punkband The Ex, der er 1990 in Amsterdam begegnete.

„Cora hat nicht gestört“, sagte ein Punk-Fan nach dem Konzert. Er darf es getrost als Kompliment auffassen. Doch ebenso wie Umezu bei Third Person die Improvisationsgewohnheiten des Duos verunsichert, so stimuliert Cora The Ex, ihre ritualisierten Attacken einmal zu verlassen, nicht ohne vorher selbst kräftig mit eingestimmt zu haben. Auch Bennett trat ein zweites Mal auf mit seiner Band Chunk, einer experimentellen Rockformation, bei deren treibender Mischung aus Country, Blues und sarkastischen Texten sich der Vergleich mit Little Feat aufdrängt. Vor zwei Jahren wären sie eine Sensation gewesen, genau wie die HipHopper von Exponential Enjoyment aus Solingen. Heute können sie die Publikumserwartungen nur noch teilweise befriedigen.

Die Öffnung zur Musik anderer Kulturen fiel, abgesehen von der Dance Night mit Youssou N' Dours großartigem Auftritt, in diesem Jahr recht minimal aus. Das Konzert der Sabri Brothers schrumpfte auf eine Stunde, weil Rothenberg zuviel hinwegimprovisiert hatte. Aber fürs nächste Jahr ist wieder mehr geplant – Kontakte nach China sind bereits hergestellt. Peter Thomé

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