piwik no script img

Kündigungsschutzklagen nicht nachholbar

■ Bundesarbeitsgericht: Kündigung wegen Ausreiseantrag wird nicht aufgehoben

Kassel (AFP) – Wegen eines Ausreiseantrags in der DDR ausgesprochene Kündigungen werden voraussichtlich nicht mehr aufgehoben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Kassel lehnte gestern eine entsprechende Entscheidung ab. Auf Vorschlag des Gerichts schlossen das Land Berlin und eine frühere Ostberliner Lehrerin einen Vergleich. Darin wird die Entlassung der Lehrerin als Verstoß gegen die Menschenrechte und gegen das DDR-Rehabilitierungsgesetz von 1990 bezeichnet (AZ: 8 AZR 100/92).

Die 36jährige Diplom-Lehrerin wollte mit ihrer Familie 1987 in den Westen übersiedeln. Ihren Ausreiseantrag beantworteten die DDR- Behörden mit einer Kündigung wegen „Nichteinhaltung der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte“. Von den Arbeitsgerichten wollte die Lehrerin festgestellt wissen, daß diese Kündigung unwirksam ist. Außerdem verlangte sie das Gehalt, das ihr bis zu ihrer Ausreise im Juni 1989 gezahlt worden wäre – nach der Währungsumstellung knapp 17.000 Mark. Mit ihrer Forderung stützte sich die Lehrerin auf den sogenannten Annahmeverzug. Danach können Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung ihr Geld verlangen, wenn der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, daß sie nicht arbeiten konnten.

Auf der Grundlage von DDR- Recht bestätigte das Landesarbeitsgericht Berlin die Unwirksamkeit der Kündigung, setzte die Entscheidung über die Nachzahlung aber aus formalen Gründen aus. Das BAG bezeichnete dieses Vorgehen als „Rechtsirrtum“. Es sei unstrittig, daß viele Kündigungsschutzprozesse in der DDR nach einem Ausreiseantrag gar nicht erst geführt wurden, weil die Klagen ohnehin auf Grund höchster Anweisungen abgewiesen wurden. Es sei aber nicht möglich, diese Verfahren nun nachzuholen. Statt dessen verwiesen die obersten Arbeitsrichter die Lehrerin auf das vom Bundestag bereits verabschiedete Zweite SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz, über das am Donnerstag der Vermittlungsauschuß von Bundestag und Bundesrat beriet. Auf dessen Grundlage soll nach der Verabschiedung das Landesarbeitsgericht Berlin erneut über die Kündigung beraten. Bleibt das BAG auch in künftigen Fällen bei dieser Auffassung, so bedeutet dies, daß das DDR-Unrecht möglicherweise entschädigt, nicht aber für unwirksam erklärt und damit aufgehoben wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen