: Neue Platten
ASMUS TIETCHENS
Das Fest ist zu Ende. Aus.
Barooni
Die Hammond-Orgel tönt, wa-tumm-wa-tumm, der Vater will schunkeln, ein Mädchen kann „jetzt noch nicht kotzen“, irgendeine Ami-Band dudelt im Hintergrund. Darüber grollt das Nichts – die Erinnerung ist eine Bürde. Denn was der Klang-Forscher Asmus Tietchens auf seiner neuen CD verwertet hat, sind seine Jugendsünden. Damals, vor vielen Jahrzehnten, zog er tonbandbewaffnet über Partys und in Übungskeller, dort nahm er Jugendlich-Verklemmtes oder auch Hysterisch-Verpapptes in sein akustisches Magnetton-Archiv.
Durch Tietchens Bearbeitung hallt seine Vergangenheit wankend-schrumm im Ohr nach – wie schnöd und gleichzeitig gefühls-emsig sie sich anhört. Wenn die CD „Aus“ (Untertitel) ist, bleibt im akustischen Hirn-Speicher ein Gefühl nach, als wenn ein sich erbrechenwollender Magen hinübertransponiert worden wäre ins auditive Zentrum des Dachstübchens: Peinliche Jugend-Erinnerungen machen Ohren-Ekel. Solche selbst-beschämenden Töne finden sich bestimmt nicht nur im Datenspeicher von Herrn Tietchens.
Greta Eck
PROLLHEAD!
Prall
Efa
„Hasch und Rock ist alles, was wir brauchen“, tönt es von der ersten CD der Hamburger Kultband Prollhead! Gnadenlos werden die Siebziger recycelt: ein Hohelied auf das Rockertum, dazu Sex und Suff und der Klassiker „Rauch auf dem Wasser“. Stumpfrock, Hardcore-Metal und Müller-Westernhagen geben sich ein Stelldichein, und den Aufnahmen ist der brachiale Charme erhalten geblieben, den die vier Musiker (Ex-Proll!) und die beiden Chordamen (Prollettes!) bei ihren Auftritten verströmen. Und alle können beim Spaß mitmachen, denn die CD endet mit einem Instrumentalstück, das mit eigenem Gesang gefüllt einzuschicken ist, um geheimnisvolle Preise zu gewinnen.
dsch
EASY BUSINESS
Encyclopedia
Intercord
Easy Business nähern sich afro-amerikanischen Referenzen mit einer Doppelstrategie. Einerseits decken sie ihre Einflüsse auf und lassen Guru, Q Tip und LL Cool J zu Wort kommen. Andererseits verwischen sie durch eine enzyklopädische Vielzahl der Verweise die Pfade.
„Als ich in den Plattenladen ging, sah ich dieses Album in der Ecke sitzen.“ Mit diesem Satz des amerikanischen Komikers Jimmy Walker wird nicht nur Encyclopedia eröffnet. Dies beschreibt auch die Bedeutung von Hip-Hop-Vinyl für das Quartett aus Steilshoop. Während andere Bands an dem Gesamtkunstwerk aus Graffiti, Rap und Breakdance basteln, widmeten sich Easy Business in den vergangenen sechs Jahren ganz dem Manipulieren von Tönen.
Das zahlt sich jetzt aus. Mühelos überspringen sie mit ihrem Debut gleich einige Klassen und setzen sich im oberen Mittelfeld fest. Selbst wenn man die lästige als Bonus versteckte Kritik „für deutsche Verhältnisse“ außer acht läßt, reiht sich die Vielfalt der Reimstile zwischen Busta Rhymes, Contemplative Teaching und Sticky Fingas in den gegenwärtigen Veröffentlichungs-Strom aus Übersee ein. Denn auch dort betritt man gegenwärtig keine unbekannten Soundinseln, sondern ergeht sich in Selbstzitaten oder lotet wie Easy Business die Tragfähigkeit der etablierten Stile aus.
Volker Maquardt
DIS JAM
Dis Jam
Yo Mama
Stellt man Dis Jam auf eine Bühne, sind sie am Morgen danach immer noch in den Opener vertieft. Man kennt sich seit acht Jahren, ist bestens aufeinander abgestimmt und verachtet das kurze Liedgut. Was live in kleinen Clubs Charme entwickelt, ließ auf Vinyl gebannt narzißtische Uferlosigkeit befürchten.
Doch die sechs Hamburger Musiker haben sich weitgehend den Gesetzen der Form und Struktur unterworfen. Paradoxerweise wurde Dis Jam von Demotape zu Demotape der Jam ausgeblasen. Was übrigbleibt, ist eine versierte Begleitband für Lemn Sissay, den Jazzpoeten aus Manchester, der seine atemknappen, dichten Verse einpflanzt in einen Funk & Soul, der nie seine dampfende Erdigkeit leugnet. Vor allem bei „Wake Up“ und „Stoned on War“ bittet Dis Jam die Geister von Galliano zum Tanz, um mancherorts in die Untiefen von „Peace and Happiness“ abzuschmieren.
Vertrackter ist Sissays beissende Kritik an der „Strange City“ und ihren konsumkranken (“consumical“) Bewohnern vertont. Dessen irres Gelächter, jenen Hilfeschrei in den muzak-geschwängerten Passagen der Waren analogisiert Dis Jam mit schrägen Reiztönen. Strange.
Volker Marquardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen