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Selten soviel Anfang im Regie-Nachwuchs

■ Theater-Frischlinge können sich sehen lassen: Festival „Junge Hunde im Mai“ auf Kampnagel beendet

Aquarium mit totem Gehirn rechts, Aquarium mit lebendem Goldfisch links, in der Mitte ein nach zwei Seiten offener Metallkäfig, ansonsten allerlei elektronischer Krimskrams und viel freier Raum - das Bühnenbild hätte man in der guten alten Zeit, als die Sprache des neuen Theaters auch noch neu war, als Environment bezeichnet und sich darüber wie ein Schneekönig gefreut. Auch sonst folgt die Performance Das Labor, die die junge Theatergruppe Koop Theater am Donnerstag im Rahmen des Junge Hunde-Festivals zeigte, der Ästhetik einer vermeintlich nicht mehr ganz frischen Avantgarde.

Aber es funktioniert doch: Weil Regisseur Johannes Grebert die verwendeten Mittel nicht einfach behauptet und vorführt, sondern ausprobiert und mit ihnen spielt. Und weil die drei Darsteller nie das Gefühl vermitteln, da werde etwas Künstliches und Aufgesetztes präsentiert.

„Studie zu Büchner“, so hätte das Stück im Untertitel heißen können. Zwar werden auch andere Texte verwendet, aber die Klammer der Aufführung bilden doch die Abschnitte aus Georg Büchners Lenz. Das sind schöne, gerade in ihrer Lakonie eindringliche Momente: Wenn Susanne Strenger den Text einfach und untheatralisch vorliest und Dirk Roofthooft schlicht daneben steht, bei einigen Sätzen knapp und trocken nachfragt und sich dann, mit wenigen Strichen angedeutet, in die Sprachbilder vom Leiden des unglücklichen Dichters hineinzuversetzen sucht. Dann gibt es Szenen, hinter deren unverfänglicher Oberfläche ein Abgrund klafft: Etwa wenn Wiebke Kayser mit der freundlichsten Stimme der nettesten Fernsehmoderatorin eine Sezieranleitung des menschlichen Gehirns vorträgt.

Aber die Aufführung erschöpft sich keinesfalls in den vorgetragenen Texten. Daneben ist sie auch noch: ein sanftes Plätschern mit gelindem Erschrecken; eine flüchtige, lapidare Studie über Bewußtseinszustände; ein in den Bewegungsfolgen weitestmöglich zurückgenommenes Tanztheater; eine kleine, 40 Minuten kurze Entdeckungs reise in eine Bilderwelt, in der sich ungefähr Jan Lauwers' Needcompany mit Achim Freyer trifft und beiden jegliches Pathos genommen wird.

Und dann ist diese Aufführung noch etwas ganz anderes: eine Lehrstunde in theatraler Wahrhaftigkeit. So selbstverständlich agierend wie hier sind selten Schauspieler auf der Bühne zu sehen.

In diesem Sinn schließt sich der Kreis. Junge Hunde - der Name klingt nach ungeduldigem Aufbruch und ein wenig nach Pose. Die neuen Stücke aber, die in diesem Rahmen zu sehen waren - ob nun das Labor oder Victoria Haukes Shift oder Ralf Knickers Memory-Abend -, waren auf ihre höchst eigene Weise anders: selbstverständliche und unaufgeregte Experimente und damit zugleich auch Versuche, theatrale Posenhaftigkeit zu unterlaufen.

Diese Aufführungen versteckten sich nicht hinter eingefahrenen Konzepten. Mit Entdeckungsmut und dem Risiko des Scheiterns probierten sie formale Möglichkeiten zwischen Tanz-, Sprech- und Bildertheater aus und zeigten, wie Theater auch aussehen kann, wenn man ihm denn nur Freiraum gibt. Insofern wurde das diesjährige Produktionsforum für junge Theatermacher auf Kampnagel seinem Anspruch gerecht. Soviel Anfang in dieser Unverstelltheit war lange nicht mehr. Dirk Knipphals

Zum Abschluß noch heute: Les Balletts C. de la B. aus Gent mit dem Stück „Bonjour Madame“, Halle 6, 20 Uhr

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