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Filmische Bildhauerei

■ Vier Filme aus drei Schaffensperioden: Die Josef-von-Sternberg-Reihe in West 3

Morgen wäre Josef von Sternberg hundert Jahre alt geworden (siehe auch Seite 18). Das haben der WDR und einige andere Dritte Programme zum Anlaß für eine kleine Werkschau genommen, die den Regisseur erfreulicherweise nicht nur als Schöpfer des Mythos Marlene Dietrich vorstellt.

Die Wahl des WDR fiel auf vier Filme aus drei Schaffensperioden. Der Retro ist eine Dokumentation der renommierten Filmkritiker und -historiker Frieda Grafe und Enno Patalas beigestellt. Sie nehmen sich von Sternberg vorwiegend aus Forschersicht vor, Biographisches wurde fast völlig ausgeblendet. Graefe und Patalas interessieren sich vor allem für die formale Gestaltung der Filme: die Stilisierung und der Bühnencharakter der Schauplätze, die Brechung des Zuschauerblicks durch Pflanzen, Gitter und Leitungen, das Spiel mit Licht und Schatten. Dankenswerterweise beziehen sich die beiden Filmforscher auf eben jene vier Filme, die der WDR zum Gegenstand seiner kleinen Retro erhoben hat.

„Unterwelt“ von 1927 war Sternbergs Durchbruch, nachdem er mit dem expressionistischen Experiment „Die Heilsjäger“ im Jahre 1925 Chaplin aufgefallen war, der daraufhin eine Zeitlang sein Förderer wurde. Zwei Jahre gingen mit Filmen ins Land, die niemand sehen wollte, bis „Unterwelt“ die Kinos füllte: ein Gangsterfilm, der sich sämtlicher Klischees enthielt und zum ersten Mal einen Einblick in die Psyche und die Lebensbedingungen der Gangster bot. Stilistisch strebt Sternberg aber hier – wie auch in seinen anderen Filmen – nicht Realismus, sondern größtmögliche Künstlichkeit an: eine Welt, die so nur im Studio entstehen konnte und dies auch kaum verleugnet – seine Version von „cinéma pur“.

Nur im Studio sah Sternberg die Möglichkeit völliger Kontrolle über alle Aspekte des Films, und nur hier glaubte er alle seine Ausdrucksmöglichkeiten ausschöpfen zu können. Für „Im Hafen von New York“ (1928) ließ er die kompletten Hafenanlagen im Studio nachbauen. Auch hier gingen die Psychologie und die Künstlichkeit des Milieus Hand in Hand, ein Sozial- und Melodrama gleichermaßen.

1929 entstanden in ähnlichem Stil „Eine Nacht im Prater“ und „Thunderbolt“ und schließlich, in Berlin, „Der Blaue Engel“. Sternberg hatte für seinen ersten Tonfilm gezielt nach einem Objekt für seine filmische Bildhauerei gesucht. Die Dietrich wurde zu einem neuen Kino-Frauentyp, einem, der nicht mehr nur die Pose des Glamour auftrug, sondern, gerade Männern gegenüber, kumpelhaft-verständnisvoll wirkte und gleichzeitig sexuell ambivalent. Die Etablierung des Hosenanzugs für Damen ist bekanntlich ihr zu verdanken, und zwar durch „Marocco“ von 1930, Dietrichs erstem Hollywoodfilm, wo der neue Typus bereits perfekt in Szene gesetzt ist, auch wenn Marlene dem tapferen Fremdenlegionär Gary Cooper schließlich völlig erliegt. In den folgenden Filmen, die Marlene Dietrich und Josef von Sternberg bis 1935 drehten, wurde ihr Typ in allen Schattierungen ausgereizt und schließlich auch von anderen Regisseuren – wie Carné, Welles und Hitchcock – übernommen und überspitzt.

Sternbergs aufwendiger Stil und sein exzentrisches Auftreten wurden ihm in Hollywood, ähnlich wie auch von Stroheim, zum Verhängnis. Aber auch ohne die Filmstadt gelang es ihm, weiterzuarbeiten und noch einige Filme fertigzustellen. Zuletzt „Die Sage von Anatahan“ (1953), der in Japan entstand und mit dem er noch einmal seinem Stil und seiner Vorliebe für fremdartige, exotische Schauplätze frönen konnte. Die japanischen Darsteller sprachen alle in ihrer Muttersprache; die Art und Weise, wie sie ihre Dialoge ausführten, sollte neben ein paar vom Regisseur selbst eingesprochenen Kommentaren für das Verständnis reichen. Oliver Rahayel

Sonntag, 29.5., 14.30 Uhr: Im Hafen von New York (The Docks of New York, USA 1928)

Sonntag, 29.5., 20.15 Uhr: Marokko (Marocco, USA 1930)

Montag, 30.5., 23.00 Uhr: Unterwelt (Underworld, USA 1927)

Dienstag, 31.5., 21.45 Uhr: Meister der Szene. Josef von Sternberg zum 100. Geburtstag von Frieda Grafe und Enno Patalas

Dienstag, 31.5., 23.00 Uhr: Die Sage von Anatahan (The Saga of Anatahan, Japan/USA 1953)

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