: Neue Landkarte der Zensur
Die Prinzipien der Redefreiheit sind in Bedrängnis. Unter ihren neuen Feinden sind auch alte Freunde ■ Von Ronald Dworkin
Ist die Freiheit der Rede in Wort, Bild und Schrift ein universales Menschenrecht? Oder ist sie am Ende doch nur ein Wert unter anderen, von den intellektuellen Mittelklassen westlicher Demokratien gehätschelt, von anderen Kulturen mit anderer Tradition jedoch zurückgewiesen und von radikalen Gruppierungen im Westen als auch dort von nicht mehr zentraler Bedeutung relativiert?
Die Zeitschrift Index on Censorship verdankt ihre Gründung der alten Überzeugung, daß die Freiheit des Wortes und die ihr assoziierten Freiheiten des Gewissens und der Religion fundamentale Menschenrechte sind, für deren Bewahrung die Gemeinschaft aller Menschen die Verantwortung trägt. Diese Eindeutigkeit wird jedoch neuerdings nicht nur von den ältesten Widersachern der Freiheit – despotischen Staatsoberhäuptern, die jede Freiheit fürchten – in Frage gestellt, sondern auch von neuen, die behaupten, im Namen der Gerechtigkeit zu sprechen. Sie verweisen auf andere, von uns hoch geschätzte Werte – wie Selbstbestimmung, Gleichheit, Freiheit von rassistischem Haß und Vorurteil – als Begründung dafür, warum das Recht auf die Freiheit des Wortes jetzt weniger dringlich und wichtig sein soll.
Zum Teil hat diese neue Feindschaft etwas mit dem Widerwillen zu tun, fremden Kulturen westliche Werte überstülpen zu wollen. Freie Rede, so diese Kritiker, mag ja innerhalb unserer eigenen säkularen Tradition wichtig sein, aber es sei sinnlos, sie völlig anderen Lebensweisen aufpfropfen zu wollen. Wir können von Völkern, deren gesamte gesellschaftliche und nationale Identität auf der absoluten Autorität einer bestimmten Religion beruht, nicht verlangen, daß sie auf ihrem Territorium etwas zulassen, das sie als Verhöhnung dieser Religion empfinden. Wie können wir von Menschen verlangen, die einem bestimmten Glauben anhängen, den sie als Wert über allen Werten anerkennen, seine öffentliche Verunglimpfung zu tolerieren?
Andere Kritiker meinen, daß die Redefreiheit innerhalb westlicher Gesellschaften – insbesondere in den USA – überbewertet wird. Als das Oberste Gericht im Skokie-Fall entschied, die First Amendment der Verfassung schütze auch Neo-Nazis, die Hakenkreuzfahnen durch eine Stadt von Überlebenden des Holocaust in Illinois tragen wollten, fragten sich viele, ob Gesetze eine derart groteske Beleidigung zulassen müssen. Seither hat man sich in Amerika zunehmend mit der erschreckenden Macht von Hate- Speech und Hate-Gesture auseineindersetzen müssen (bereits zu juristischen Fachausdrücken gewordene Bezeichnungen für hetzerische Akte in Wort, Schrift, Bild und Tat unterhalb der Ebene direkter Gewalt beziehungsweise Aufforderung zur Gewalt; Anm. d.Ü.). Hate-Speech taucht beson
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ders an Universitäten auf, wo sie sich vor allem gegen Frauen und Angehörige von Minderheiten richtet. Sie nährt sich aus Reaktionen gegen die Politik der Affirmative-Actions und anderer Rekrutierungsstrategien, die die Zahl solcher StudentInnen an den Universitäten erhöhen sollten.
An einigen dieser Universitäten hat man inzwischen „Sprachcodes“ eingeführt, die den Gebrauch sexistischer, rassistischer und beleidigend antireligiöser Begriffe und Redewendungen verbieten; diese offensichtliche Verletzung der Redefreiheit wird mit dem Hinweis verteidigt, daß solche Regeln nötig seien, um die Menschenwürde und Gleicheit aller Studenten zu schützen. Einige Apologeten der „Sprachcodes“ haben die Gelegenheit sogar dazu genutzt, nicht nur für eine Ausnahme von der Regel der freien Rede zu argumentieren, sondern deren Bedeutung generell anzuzweifeln. Sie behaupten, daß Redefreiheit nur von liberalen Schriftstellern, die nämlich von ihr profitierten, hochgepriesen werde; den Armen und Unterprivilegierten habe sie jedoch wenig genützt und nicht selten sogar als Alibi für ihre Unterdrücker hergehalten. Einer dieser Kritiker, Stanley Fish, erklärte: „Es gibt keine Freiheit der Rede – und das ist gut so.“
Der heftigste Angriff dieser Art ging bei uns von den Feministinnen aus. Sie wollen eine Kriminalisierung von Pornographie erreichen und Verleger entsprechender Werke per Gesetz zu Schadensersatzzahlungen verpflichet sehen, sobald ein Vergewaltiger oder anderer Straftäter seine Geschworenen davon überzeugen kann, daß er das Verbrechen unter dem Einfluß pornographischer Darstellungen begangen habe. Ihrer Meinung nach trägt Pornographie insgesamt zu einem kulturellen Klima bei, in dem Frauen lediglich als Sexualobjekte behandelt und in jeder Weise von Männern unterdrückt würden. Eine dieser amerikanischen Feministinnen, Catharine MacKinnon, hat für das Gegenargument, daß solche Zensur ein wichtiges Menschenrecht verletze, nur Verachtung übrig. Sie ist der Meinung, Amerika habe das Recht der freien Meinungsäußerung ins groteske Extrem getrieben und klügere Menschen in anderen Teilen der Erde hätten längst erkannt, daß es nur so lange garantiert werden könne, als es keine wichtigeren Rechtsgüter bedrohe.
Selbst Tom Stoppard, langjähriger Patron von Index on Censorship, hat sich an dieser neuen Bewegung zur Demontage des Rechts auf freie Meinungsäußerung beteiligt. In einer Rede zum Jahrestag von Chomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie sagte Stoppard, daß es natürlich eine Ungeheuerlichkeit des iranischen Klerus sei, sich ein Recht auf Anordnung eines Mordes in Britannien herauszunehmen – aber es sei auch ein Irrtum, die Freiheit der Rede als „fundamentales“ Menschenrecht zu betrachten: „Das Verbot rassistischer Texte wiegt im liberalen Gewissen des Westens nicht schwerer als das Verbot, in einem vollbesetzten Theater ohne Grund ,Feuer!‘ zu schreien.“ Solche Auffassungen halten nicht wenige ernsthafte Menschen für ganz vernünftig.
Genau aus diesem Grund bedeuten sie eine neue und besonders gefährliche Bedrohung für die Freiheit der Rede. Denn unsere Verteidigung dieser Freiheit tendiert immer etwas zu Lahmheit, sobald die Angriffe aus dem Ausland kommen oder wenn die Rede, die solche Freiheit in Anspruch nehmen will, selbst hetzerisch ist. Wenn wir das akzeptieren, wird am Ende das Prinzip geschwächt, und zwar nicht nur in solchen Fällen, sondern ganz allgemein. Daher müssen wir versuchen, von den Spezialargumenten, die heute die Diskussion um die Redefreiheit beherrschen, zu abstrahieren und auf die eigentliche Frage zurückkommen, die ich anfangs stellte. Ist die Freiheit des Wortes ein universelles Menschenrecht, ein Recht zudem, das so wichtig ist, daß wir ihm selbst in Ländern, in denen es unbekannt und fremd ist, zur Geltung verhelfen müssen? Ist es so bedeutsam, daß wir in seinem Namen auch verletzende Reden in unserer eigenen Gesellschaft tolerieren müssen?
Die letzte der beiden Fragen zu stellen bedeutet übrigens nicht, auch zu akzeptieren, daß ein „Mißbrauch“ der freien Rede die schlimmen Folgen hätte, die man ihm in letzter Zeit gerne anhängt. Viele dieser Behauptungen sind ziemlich übertrieben und einige geradezu absurd. Wenn jedoch die Freiheit der Rede so fundamental ist, wie viele ihrer Verteidiger in der Vergangenheit behauptet haben, dann müssen wir sie verteidigen, selbst wenn sie tatsächlich üble Folgen hätte – und wir müssen in der Lage sein, dies zu begründen. Und wir müssen uns bei dieser Begründung darüber im klaren sein, was alles – sollten wir recht haben – toleriert werden muß. Das Recht eines Journalisten zu verteidigen, der einen Korruptionsskandal aufdeckt, oder das Recht eines Schriftstellers, der literarische und intellektuelle Konventionen in Frage stellt, ist nicht so schwer. Aber die Freiheit der Rede schützt, wenn sie ein universelles Recht ist, eben auch den Pornographen und Fanatiker, die mit Hakenkreuzen und weißen Kapuzen (des Ku-Klux-Klan; Anm. d.Ü) durch die Straßen ziehen.
Wir müssen mit dem Eingeständnis beginnen, daß die berühmteste und anerkannteste Verteidigung der freien Rede – John Stuart Mills „On Liberty“ – das Recht in diesem Ausmaß nicht stützt. Mill meint zwar, daß wir selbst die Rede, die wir verachten, tolerieren müssen, da nur durch freien intellektuellen Wettbewerb, aus dem kein Gedanke ausgeschlossen ist, schließlich die Wahrheit gefunden wird. Aber Leute mit leidenschaftlichen religiösen Überzeugungen glauben ja, daß sie die Wahrheit schon kennen und werden Mills Episteln schwerlich mehr Vertrauen schenken als ihren eigenen Bibeln. Mills Optimismus rechtfertigt selbst für uns nicht die Toleranz aller Inhalte und Formen, auf die man bestehen muß, wenn man die Freiheit der Rede als grundsätzliches Menschenrecht verteidigen will. Pornographie zum Beispiel versorgt wohl kaum den freien Raum des Denkens mit „Ideen“, und die Geschichte gibt wenig Anlaß zu glauben, daß rassistische Argumente je zu ihrer eigenen Widerlegung beigetragen hätten.
Ist die Freiheit der Rede aber ein grundsätzliches Recht, dann nicht nur im Kontext instrumentellen Denkens wie bei Mill, der annimmt, Freiheit sei auf Grund ihrer Konsequenzen wichtig. Sie muß vielmehr aus einem unverzichtbaren Grundsatz heraus Recht sein.
Diesen Grundsatz finden wir in einer Bedingung für die Würde des Menschen: daß es für eine Regierung nicht legitim ist, einem einzelnen, der eine abweichende Meinung vertritt, durch staatliche Zwangsgewalt einen kollektiven oder offiziellen Beschluß aufzuzwingen, es sei denn, dieser Beschluß ist in einer Weise zustande gekommen, die den Status jedes Individuums als freies und gleiches Mitglied der Gemeinschaft respektiert. Wer an die Demokratie als politisches System glaubt, ist natürlich der Meinung, es sei ganz in Ordnung, zur Durchsetzung eines Gesetzes polizeiliche Macht zu gebrauchen, solange das Gesetz durch einen demokratischen Prozeß, der den Willen der Mehrheit ausdrückt, zustande gekommen ist. Das Verfahren des Mehrheitswillens ist jedoch nur eine notwendige, nicht aber schon hinreichende Bedingung politischer Legitimität. Wirkliche Demokratie erfordert etwas, das wir vielleicht einen demokratischen Hintergrund nennen können: daß nämlich jeder mündige Erwachsene eine Stimme in der Entscheidung darüber habe, was der Wille der Mehrheit tatsächlich sei. Und er erfordert auch, daß alle BürgerInnen nicht nur eine Stimme in einer Wahl haben – sondern überhaupt eine Stimme.
Eine Mehrheitsentscheidung ist also so lange nicht fair, solange nicht jedeR die Möglichkeit hatte, seine oder ihre Haltungen, Meinungen, Ängste, Vorlieben, Vorurteile und Ideale auszudrücken, und zwar nicht nur in der Hoffnung, daß andere sich davon beeinflussen lassen, sondern auch als simple Bestätigung seiner Position als verantwortliches Subjekt, als TeilnehmerIn und nicht passive ErleiderIn einer kollektiven Handlung also. Keine Mehrheit hat das Recht, denen ihren Willen aufzuzwingen, die ihre Stimme weder im Protest noch in einer Diskussion erheben konnten, bevor die Entscheidung getroffen wurde.
Redefreieit als Bedingung politischer Legitimation ist nicht der einzige Grund dafür, auf ihr zu insistieren, aber es ist ein ganz zentraler.
Man kann argumentieren, daß dieses Recht in den meisten Demokratien heutzutage für viele Bürger nur noch von theoretischem Wert sei: für Durchschnittsbürger, die keinerlei Zugang zu großen Zeitungen oder gar zum Fernsehen haben, gibt es wenig Chancen, gehört zu werden. Das ist ein echtes Problem, und weist vielleicht eher darauf hin, daß wirklich freie Rede mehr bedeuten muß als nur die Abwesenheit legaler Zensur. Als Entschuldigung für den Entzug der einfachsten Freiheit und der durch ihren Gebrauch bestätigten Würde des einzelnen kann dies schwerlich gelten. Vielmehr muß man nach anderen Wegen suchen, um denen, die ohne Geld und Einfluß sind, eine wirkliche Chance zu geben, ihrer Stimme Gehör zu verleihen.
In diesem Argument steckt aber noch wesentlich mehr als nur die Forderung, daß Regierungen politische Reden und Texte nicht zensieren dürfen. Gesetzgebung und Politik eines Gemeinwesens werden mehr durch das ihr eigene kulturelle und moralische Klima – eine Mischung aus Meinung, Vorurteil, Vorlieben und Haltungen der Leute – bestimmt als durch Medienkommentare, Parteienwerbung oder Tribünenreden. Jemandem politische Entscheidungen überzustülpen, der keine Möglichkeit hatte, durch informellen Ausdruck seiner politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen oder Vorurteile zu diesem Klima beizutragen, ist ebenso unfair wie das polizeiliche Einstampfen von Flugblättern, die gegen eine solche Entscheidung protestieren. Das trifft immer zu, egal wie anstößig die Mehrheit diese Überzeugungen oder Vorlieben findet oder wie vernünftig sie sind.
Die Versuchung, eine Ausnahme von der Regel zuzulassen und zum Beispiel zu erklären, daß keiner das Recht haben darf, mit Pornographie und Rassenhaß die Umwelt zu verschmutzen, in der wir schließlich alle leben müssen, ist natürlich überwältigend. Aber wir können das nicht tun, ohne sofort jeden Anspruch darauf zu verlieren, am Ende selbst diese Leute zu zwingen, sich dem kollektiven Urteil, das schließlich Gesetz wird, zu beugen. Wir dürfen und müssen Frauen, Homosexuelle und Mitglieder von Minderheiten vor den sehr konkreten und verheerenden Folgen von Sexismus, Intoleranz und Rassismus schützen. Wir müssen sie schützen vor jeder Ungleichbehandlung in der Arbeit, bei der Wohnungssuche und im Rechtswesen beispielsweise und können Gesetze verabschieden, um diesen Schutz zu gewährleisten. Aber wir dürfen nicht schon vorher intervenieren, indem wir jede Äußerung von Vorurteilen und Haltungen, von denen wir meinen, sie führten zu unfairer und ungleicher Behandlung, verbieten. Denn wenn wir zu früh in den Prozeß eingreifen, in dem die kollektive Meinung geformt wird, bringen wir uns um die einzige demokratische Rechtfertigung die unser Insistieren darauf hat, daß sich jeder am Ende dem Gesetz unterwerfen muß, auch die, die es zutiefst hassen und ablehnen.
Man mag einwenden, mein Argument zeige nur, daß die Redefreiheit in einer Demokratie notwendig ist, was jedoch noch nicht bedeute, daß sie ein universelles Menschenrecht sei, das selbst in nichtdemokratischen Gesellschaften ganz legitim eingefordert werden könne. Darauf möchte man natürlich gerne antworten, daß demokratische Verhältnisse selbst universelles Menschenrecht sind und eine nichtdemokratische Gesellschaft Tyrannei. Aber wir brauchen auf dieses Argument nicht einmal zurückzufallen, denn wir können Demokratie als eine bestimmte politische Organisationsform von der grundsätzlichen Pflicht einer Regierung unterscheiden, alle unter ihrer Gesetzgebung lebenden Menschen mit gleicher Aufmerksamkeit zu behandeln, als Menschen, deren Leben oder Tod nicht gleichgültig sind. Und das ist in der Tat anerkanntes Menschenrecht – viele der von uns als Menschenrechte anerkannten Prinzipien ergeben sich aus diesem Grundprinzip. So eben auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Selbst in einem Land, das von Propheten oder Generälen regiert wird und dessen Bürger kein wirkliches Stimmrecht haben, müssen die Menschen das Recht haben zu sprechen, sich um Aufmerksamkeit zu bemühen und Gehör bei jenen zu finden, die ihr Schicksal entscheiden. Eine Regierung, die ihre Untertanen verächtlich für zu dumm erachtet, um sie anzuhören, und die jede Meinungsäußerung mit Haft oder Tod bedroht, kann nicht so tun, als ob das Wohl ihrer Bürger ihre Existenzbegründung sei.
Es ist verführerisch zu denken, daß das Recht auf Redefreiheit, selbst wenn man es als universelles Recht akzeptiert, nicht absolut sein muß, und daß diejenigen, deren Meinung zu bedrohlich, abstoßend, gegen einen bestimmten moralischen oder religiösen Konsens gerichtet ist, das Recht auf Beachtung der Prinzipien verloren haben, auf die dieses Recht sich gründet. Diese Haltung aber zerstört das Prinzip selbst. Was bliebe, wäre lediglich ein relativ sinnloser Schutz von Ideen, Vorlieben und Vorurteilen, die von den gerade Herrschenden geteilt oder begünstigt würden oder vor denen sie zumindest keine Angst haben. Wir mögen die Macht haben, Leute zum Schweigen zu bringen, deren Meinungen wir verabscheuen. Aber wir täten das um den Preis unserer politischen Legitimität – die uns wichtiger sein sollte als unsere Gegner.
Jegliche Einschränkung des Prinzips birgt außerdem auch noch wirkliche Gefahren. MacKinnon und ihre MitstreiterInnen haben sich in den USA nicht durchsetzen können, denn die Gerichte haben ihre Anträge als verfassungsfeindlich zurückgewiesen. Der kanadische Gesetzgeber hat sich jedoch von ihnen überreden lassen, ein strenges Zensurgesetz zu verabschieden, und dieses Gesetz wurde vom Obersten Gericht bestätigt. Wie Liberale warnend vorausgesagt hatten, waren die ersten AutorInnen, deren Werke unter den neuen kanadischen Bestimmungen verboten wurden, keineswegs die, die den FeministInnen vorgeschwebt hatten. Es waren im Gegenteil prominente homosexuelle und lesbische AutorInnen, unter anderem eine radikale schwarze Feministin, der man rassistische Hetze gegen Weiße vorwarf und – zumindest kurzfristig – Andrea Dworkin höchstselbst, ihrerseits glühende Mitstreiterin von MacKinnon für eine feministische Zensur.
Ein Prinzip ist unteilbar, und wenn wir es verletzen, schaden wir nur uns selbst. Sobald wir in Sachen Freiheit Kompromisse machen, weil wir meinen, unsere kurzfristigen Ziele seien wichtiger, werden wir herausfinden, daß die Macht, diesen Kompromiß zu unseren Gunsten auszulegen, nicht in unserer Hand ist. Sie liegt fast immer in den Händen fanatischer Priester und Moralisten, die sich mit jeder Menge Fatwas und den ihnen eigenen Varianten des Hasses bewaffnet haben.
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